Das Erwachen
so dass es einfach unumgänglich war, sich eine Haushaltshilfe zu leisten. Und jemanden für den Garten.
»Was war denn der eigentliche Grund, warum Henry mit dir nach Südafrika geflogen ist?«, wollte Carmen wissen.
»Nun, einfach so.«
»Nach einem Jahr Ehe einfach so?« Carmen lächelte. »Gab es da nicht einen anderen Grund? Einen schönen Grund?«
Sarah schaute starr geradeaus. Carmen beobachtete sie von der Seite und bemerkte, wie sie die Lippen zusammenbiss. Sie zuckten.
»Du warst schwanger.«
Sarah blieb abrupt stehen. »Woher …?«
Carmen winkte ab. »Es gehört nicht viel dazu, sich alles zusammenzureimen. Inzwischen kenne ich dich ganz gut. Das glaube ich zumindest, obwohl du auch eine Eigenart hast wie viele andere Frauen. Du erzählst mir private Dinge, persönliche Dinge, die unter die Haut gehen und deine Lage aufzeigen. Aber die wirklich schrecklichen Vorfälle lässt du außen vor. Du schämst dich. Du schämst dich deinetwegen und wegen deines Mannes. Wegen deines Mannes, weil du ihn einmal mit ganz anderen Augen gesehen hast und deinetwegen, weil du enttäuscht bist und niemand Zeuge deiner fatalen Lage werden soll. Sarah, was ist Schlimmes an einer Fehlgeburt? Ich hatte auch eine. Habe ich dir davon erzählt?«
»Nein.«
»Es war wenige Tage, nachdem ich erfahren hatte, dass mein Mann für seine Mätresse ein Apartment gemietet hatte. Ich war im vierten Monat.«
»Allein die Nachricht hat zu einer Fehlgeburt …«
Carmen lächelte und hob eine Hand. »Vergiss bitte nicht, ich bin Ärztin.«
Nach einigen Sekunden begann Sarah zu beichten. »Ja, ich war schwanger, als wir nach Südafrika geflogen sind. Anfang des dritten Monats. Und durch den Sturz im Badezimmer, als ich mit dem Becken auf dem Fliesenboden aufgeschlagen bin, ist es wohl passiert. Die Unterleibsschmerzen, ein schreckliches Ziehen, habe ich auf die Schwangerschaft zurückgeführt.«
»Dabei stammte das Ziehen wahrscheinlich vom Riss im Becken. Hat man dich denn trotz der Schwangerschaft noch geröntgt?«
»Ja. Es soll da so ein schonendes Verfahren geben. Anschließend gab man mir Medikamente, verordnete mir Ruhe …«
»Und dein Mann war rührend um dich besorgt.«
»Er las mir jeden Wunsch von den Lippen ab. Es wäre wahrscheinlich ein Junge geworden«, fügte sie traurig hinzu.
»Nun machst du den gleichen Fehler, wie ich ihn dir vorhin beschrieben habe. Du bagatellisierst, dein Mann war ja so rührend, er hat sich ja so um dich gekümmert«, Carmen verdrehte theatralisch die Augen, »und willst dich vor der Erkenntnis drücken, dass er schon vor der Fehlgeburt zu einem Schwein geworden ist. Er hat dir doch die Hölle bereitet, oder etwa nicht?«
»Zuerst eigentlich nicht«, widersprach Sarah. »Er zeigte viel Verständnis und tröstete mich. Aber einige Monate nach der Fehlgeburt fing es an. Eigentlich schon nach einigen Wochen«, verbesserte sie sich.
»Und was geschah in Südafrika? Das war doch lange vor der Fehlgeburt. Sarah, willst du das nicht mehr wahrhaben?«
»Es war das erste Mal, dass Henry so entgleist ist«, gab Sarah mit leiser Stimme zu. »Ich dachte damals, es würde bei diesem einen Mal bleiben. Ich habe den Vorfall auf Alkohol und seine Eifersucht zurückgeführt. Also war ich auch etwas …«
Carmen winkte ab. »Ich kann es bald nicht mehr hören, Sarah. Und wenn du mit Enrique geschlafen hättest, wäre das immer noch kein Grund gewesen für Henrys Verhalten.«
Die beiden Frauen setzten sich auf eine Holzbank und schauten über das schmale Tal hinweg auf die Häuser des gegenüberliegenden Bergrückens.
»Drüben die Straße auf der Höhe, dort wo die schönen Neubauten stehen, die hat man früher Zigeunergasse genannt. Weißt du, woher der Name stammt?«
Carmen überlegte. »Wahrscheinlich, weil dort Zigeuner gewohnt haben.«
Sarah schüttelte den Kopf. »Nur über diese Straße durften die Zigeuner in die Stadt Saarburg kommen.«
»Schön, dass ich das jetzt auch weiß. Aber lenke bitte nicht ab.«
»Wie gesagt«, kam Sarah auf das Thema zurück, »nach einigen Wochen fing es an. Zuerst nur Sticheleien und kleine fiese Bemerkungen, dann wurde er immer ausfallender. Ich sei keine richtige Frau, könne ihm kein Kind schenken, mein Körper käme mit der Belastung nicht zurecht. Und der kleine Sturz in Südafrika sei doch wohl nicht der eigentliche Grund. Da brauche man doch nur zu schauen, wie viele Kinder meine Eltern gehabt hätten. Nur eine Tochter. Da stimme doch etwas nicht mit
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