Das Erwachen
der Genetik. Irgendein Defekt, und der sei vererbt worden.«
Sarah atmete heftig. »Wochenlang ging das so, und immer wieder wollte er mit mir ins Bett, um aus mir eine richtige Frau zu machen. Manchmal schliefen wir am Tag drei- oder viermal miteinander.«
»Und du hast das über dich ergehen lassen.«
»Ja. Es war teilweise abscheulich und ekelhaft, wie er immer wieder in mich eindrang und mich zum Verkehr zwang. Mit aller Macht wollte er mir ein Kind machen. Und ich sperrte mich und war total verkrampft. Ich weiß nicht, wie oft ich anschließend ins Bad gelaufen bin, um mich zu übergeben.«
»Seitdem hast du auch keinen Orgasmus mehr bekommen.«
Sarah antwortete nicht, aber ein Blick in ihr Gesicht signalisierte Carmen, dass sie richtig lag.
»Dann bist du ja vergangene Woche nicht zum ersten Mal vergewaltigt worden«, stellte sie mitfühlend fest und nahm Sarahs Hand. Carmen spürte, wie sie sich zuerst sträubte, es dann aber geschehen ließ.
»In dir ist vieles abgestorben, liebe Sarah«, begann sie vorsichtig. »Nach außen musst du die Fassade aufrecht erhalten, und dein Innerstes ist eine einzige Wunde. Eine Wunde aus Kränkung, Demütigung, aus innerer Verletztheit. Und du fühlst dich ohnmächtig gegenüber diesem Bastard.«
Carmen drückte Sarahs Kopf an ihre Brust und bemerkte, wie die Jüngere zu schluchzen begann.
»Weine dich ruhig aus. Weine nur. Und mach dem Spuk ein Ende. Verlasse ihn. Oder bring’ ihn um. Aber tu etwas.«
Osterferien, fast alle Saarburger verreisten, auch die Mitglieder des SUV. Der morgendliche Verkehr reduzierte sich auf ein erträgliches Maß, die enge Innenstadt verkraftete ihn im Gegensatz zu sonst ohne Probleme. Staus verursachten allein LKW, die, wann immer sie wollten, rücksichtslos in der zweiten Reihe parkten und die Geschäfte belieferten.
Wochentags wirkte die Stadt, erst recht, wenn es nieselte oder regnete, wie ausgestorben. Es sei denn, Busse fielen ein oder ein Schiff legte an. Dann strömten die Touristen in Dreierreihe durch die Oberstadt. Frauen mit hohen Absätzen kämpften sich die steilen, mit Blaubasalt gepflasterten Gassen am Laurentiusberg hinauf. Noch mehr hatten sie auf dem Weg nach unten zu kämpfen, wenn die Absätze in die tiefen Fugen zwischen den Steinen rutschten und die Beine wie bei Gummipuppen wegsackten. Manchmal war ein ungewollter Kniefall die Folge. Die ulkigsten Verrenkungen sah man jedoch bei Regenwetter, dann wurde der Belag auch noch tückisch glatt. Tourist sein ist nicht einfach. Aber das bringen alte, historische Stadtkerne, früher zum Schutz auf Hügeln errichtet, nun mal mit sich.
Als Sarah an diesem Samstag vom Einkaufen nach Hause kam, bemerkte sie schon am Tor, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise begrüßten sie die Hunde überschwänglich, heute jedoch trotteten sie mit gesenktem Kopf und eingezogenem Schwanz auf sie zu. Das taten sie nur, wenn Henry sie wieder einmal hart gezüchtigt hatte.
Mit gemischten Gefühlen und einer undefinierbaren Vorahnung schritt Sarah hoch zum Haus. Die Sonne schien, und die Bäume am Rand der Straße warfen bizarre Schatten. Es war warm. Erste Triebe an den Sträuchern waren zu sehen, die Rosen wuchsen kräftig, die Forsythien standen in voller, sattgelber Blüte. Und die Spirea Arguta würde bald in Weiß folgen.
Sarah stellte ihre Tüte in der Diele ab, betrat das Wohnzimmer, sah Henry auf sich zueilen und erhielt ohne Vorwarnung eine Ohrfeige, die sie zu Boden warf. Das geschah so schnell, sie fand noch nicht einmal Zeit, die Hände schützend vors Gesicht zu halten.
Verdattert hielt sie sich die schmerzende Wange, die unbeschreiblich zu brennen begann. Von unten schaute sie Henry fragend an. Für seine Verhältnisse seltsam leger gekleidet stand er über ihr. Er trug Jeans, Hausschuhe und ein Hemd, welches aus der Hose gerutscht war und um seinen Oberkörper schlackerte.
»Das hast du dir aber schön ausgedacht«, giftete er sie an. »Zuerst täuschst du mir eine Schwangerschaft vor, und nun das hier.« Er wedelte mit einem Blatt Papier vor ihrer Nase.
Da Sarah nicht reagierte, sie hatte ja immer noch keine Ahnung, wovon er sprach, zog er sie hoch, so dass sie gerade noch mit ihren Zehenspitzen den Boden berühren konnte, und starrte sie an. Sie konnte seinen Atem riechen. Heute ohne irgend ein unbekanntes Mundwasser.
»So einfach lasse ich dich nicht gehen. Ich habe dich geheiratet, und du bleibst meine Frau, so lange ich es will. Hast du verstanden?«
Und weil
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