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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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ihr mit der Faust ins Gesicht. Sarah taumelte, ihr Kopf prallte gegen den Türpfosten, sie rutschte an ihm herunter und verlor die Besinnung.
    Es war ein anderes Erwachen als vor wenigen Wochen im Krankenhaus. Damals war sie müde, verspürte keine Schmerzen und wollte nur schlafen. Angenehme Dinge träumen und schlafen. Heute zwängte sie sich mit aller Kraft aus der Bewusstlosigkeit zurück ins Leben und hatte das Gefühl, ihr Körper sei eine einzige Wunde. Lediglich die Beine schienen intakt zu sein.
    Sie wusste nicht, wie lange sie ohnmächtig gewesen war. Aber so kalt wie sie sich fühlte, musste es mehr als eine Stunde gewesen sein. Sarah schluckte, der angeschwollene Kiefer knackte. Sie öffnete die Augen, konnte jedoch nichts erkennen. Aber es roch nach Erde, obwohl der ehemalige Weinkeller vor langer Zeit bereits einen Fliesenbelag erhalten und man die Wände verputzt hatte.
    Sarah fröstelte. Sie tastete mit den Händen den Boden und den unteren Bereich der Wände ab, aber eine Decke fand sie nicht. Ihre Finger stießen gegen Metallregale. Und diese Regale waren leer. Der Raum wurde nur noch genutzt, wenn sie eine Gesellschaft gaben und man die Speisen kühl aufbewahren wollte. Und er diente manchmal als Vorratsraum für verderbliche Sachen, denn er hatte ein Kälteaggregat. Gott sei Dank war es ausgeschaltet.
    Sarah legte den Kopf auf den Boden und konnte unter der Tür einen grauen Lichtspalt erkennen. Wenige Meter weiter über einen Flur ging es in den Abstellraum.
    Und noch eines konnte Sarah feststellen: es gab keinen besseren Platz im Haus, um sie zu verstecken. Niemand würde hören können, wenn sie schrie. Noch nicht einmal, wenn sich jemand in der Küche aufhielt.
    Zuerst vibrierte der Boden, dann hörte sie die Schritte. Der Spalt unter der Tür wurde hell, ein Schlüssel ratschte im Schloss, Henry schaltete die Beleuchtung an. Geblendet verdeckte sie mit den Händen ihre Augen. Die Tür ging auf.
    »Jetzt bist du da, wo du hingehörst«, hörte sie Henry geifern. »Hier, damit du nicht so schnell krepierst.« Er warf ihr eine Decke hin. »Und damit du nicht verhungerst. Friss.« Sie hörte, wie etwas auf den Boden gestellt wurde.
    »Henry, ich muss aufs Klo.« Ihre Augen hatten sich nun an die Helligkeit gewöhnt.
    »Dann mach doch einfach. Das hier ist dein Klo. Dein Wohnklo.«
    Lachend wandte er sich ab und verschloss die Tür. Aber zumindest ließ er das Licht brennen.
    Sarah hüllte sich in die Decke und schielte auf das Tablett. Ein Glas mit Milch stand dort – sie trank nie Milch – und zwei belegte Brötchen ohne Butter. Das erste Mal, dass Henry ihr etwas zu Essen gemacht hatte.
    Anfänglich war in ihr der Trotz so stark, dass sie sich sagte, sie rühre nichts von dem Essen an. Aber der Hunger wurde größer, und der Druck auf ihre Blase auch. Schließlich griff sie zum Glas und trank die Milch. Und sie aß die Brötchen.
    Eine Stunde hielt sie es noch aus, und als das Ziehen im Unterleib unerträglich wurde, ließ sie den Urin einfach laufen. Sie machte sich noch nicht einmal die Mühe, die Hose zu öffnen. Es war ihr gleichgültig.
    Weil der Boden etwas Gefälle zur Wand hin hatte und sich dort ein Bodeneinlauf befand, zog ihr Urin in diese Richtung ab. Es roch süßlich. Sarah rückte etwas zur Seite, um nicht länger im Nassen zu sitzen. Das nächste Mal, nahm sie sich vor, würde sie doch ihre Hose herunterstreifen.
    Wie lange sie bereits in diesem Loch gehaust hatte, sie wusste es nicht. Sarah wurde müde, rollte sich in die Decke und schlief ein.
    Wieder ein anderes Erwachen. Sie lag in der Badewanne, Henry stand über ihr und hielt den Brauseschlauch. Er wusch sie. Ihre Kleidung lag daneben auf dem Boden. Wieso habe ich nicht mitbekommen, dass er mich ins Badezimmer getragen und mich ausgezogen hat, fragte sie sich? Bin ich denn so müde gewesen? Normalerweise wache ich doch bei jedem Geräusch auf. Und heute noch nicht einmal durch das Wasser.
    Henry stellte das Wasser ab und verstaute ihre Kleidung in einer Plastiktüte. Dann trat er zu ihr und hob sie aus der Wanne. Mit zittrigen Knien schaute sie sich um, als sähe sie alles zum ersten Mal. Im Spiegel starrte sie eine fremde Frau an, mit dicken roten Wangen, wulstigen Lippen und schmalen Augen, ähnlich einer Mongolin. Es dauerte zwei Sekunden, bis Sarah registrierte, dass es außer Henry und ihr sonst niemanden im Badezimmer gab. Um sich jedoch über ihr verquollenes und malträtiertes Ebenbild aufzuregen, fehlte ihr die

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