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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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gepinkelt habe?« Henry hatte seine Stimme gesenkt und beugte sich zu Ludevik. »In den Abfluss habe ich gepinkelt. Aber behalte das bitte für dich.«
    »Geht in Ordnung. Kein Wort kommt über meine Lippen.«
    Henry nahm seine Wanderung wieder auf und gestikulierte wild mit den Händen. »Irgendwann habe ich wieder mit dem Engel reden wollen, aber der hat sich nicht gemeldet. Ich habe ihn gerufen, habe gebettelt und geflucht. Das hätte ich lieber sein lassen«, sagte Henry mit weit aufgerissenen Augen. »Das ist mir auf den Magen geschlagen. Besser auf den Darm. Ich musste dringend scheißen. Aber im Keller gibt es kein Klo. Und ich war nackend. Und ich hatte kein Papier. He, Klaus, was hättest du an meiner Stelle getan?«
    »Ich weiß nicht. Wie geht es weiter?«
    »Glaube mir, es war nicht mehr zum Aushalten.« Henry, immer noch im Raum umhergehend, blieb stehen, verzog das Gesicht, als verspüre er erneut dieses Gefühl und presste die Beine zusammen. Dazu legte er seine Hände auf den Bauch und krümmte sich leicht nach vorn. »Aufs Tablett. Ich habe auf das Tablett geschissen. Mitten drauf. Gleich neben die Tasse. Auf den Teller. Klaus, das hättest du sehen müssen!«
    »Und was hast du mit dem Tablett gemacht?«
    »Nichts, überhaupt nichts.«
    »Und wie hast du deinen Hintern abgeputzt?«
    »Mit der Decke«, flüsterte Henry. »Mit der Decke. Mensch, was hat das gestunken. Nicht zum aushalten. Tränen bekommst du davon. Hast du schon mal auf ein Tablett geschissen?«
    »Nein.«
    »Oder einfach im Raum auf den Boden?«
    »Nein.«
    »Du glaubst ja gar nicht, wie das stinkt. Ist ja kein Wasser da, wo es rein plumpst.«
    »Ist es immer noch im Keller?«
    »Das Tablett?« »Ja.«
    Henry nickte. Und dann lachte er meckernd. »Aber die Scheiße ist weg.«
    »Hast du es sauber gemacht?«
    Henry schüttelte den Kopf. »Der Engel. Wie ich einmal aufschaue, da war das Tablett weg. Und die Decke. Ich war ganz allein im Raum, ohne Tablett und Decke. Und wie ich dann wieder mal aufschaue, da war beides wieder da. Tablett und Decke.« Henry schaute in Ludeviks Gesicht. »Was, du glaubst mir nicht?«, brauste er auf. »Alles war wieder da. Und die Decke war sauber. Und auf dem Tablett stand was zu essen. Na, was sagst du jetzt?«
    Ludevik atmete tief durch. »Ja, Henry, das klingt nicht schön. Schlimm, was du so erlebt hast. Und das alles in deinem eigenen Haus.«
    »Das sagst du doch nur, um mich zu beruhigen. Im Grunde genommen glaubst du mir doch nicht.«
    »Henry, ich sehe keinen Grund, dir nicht zu glauben. Oder zweifelst du etwa selbst an der Wahrheit?«
    »Nein, nein. Natürlich nicht. Es gibt ja immer nur eine Wahrheit.« Henry setzte sich in den Sessel und legte die Füße hoch.
    »Wie ging es dann weiter mit dir und dem Engel?«
    »Wenn ich Engel sage, dann meine ich seine Stimme. Ich habe ihn ja noch nie gesehen«, stellte Henry richtig.
    »Aber die Stimme ist so fein und hell wie die eines Engels.«
    »Ja, ganz genau. Oder die einer Frau. Sanft und weich. Frauen können ja auch manchmal Engel sein, nicht Klaus?« Vertraulich zwinkerte Henry dem Psychologen zu.
    »Du hattest also die erste Nacht hinter dir, nehme ich an.«
    »Mittlerweile wird es schon hell oder Tag gewesen sein. Zumindest war viel Zeit vergangen. Ich hatte aber keine Uhr. Nur so vom Gefühl. Zwischendurch bin ich müde geworden und habe geschlafen. Und dann habe ich was gegessen und getrunken und mit dem Engel geredet. Er war nicht immer da, aber von Mal zu Mal hat er sich gemeldet. Er hat mit Grüße ausrichten lassen von meinen Eltern. Ich nehme an, in der Zwischenzeit hat er sich mit ihnen unterhalten. Engel können das. Sie sind ja Reisende zwischen den Welten, nicht? Und dann sollte ich dem Engel von Sarah erzählen. Und von unserer Ehe. Nun, das habe ich getan.«
    Ludevik spürte seine innere Neugier und eine Form der Anspannung, wie sie in solchen Sitzungen unüblich war. »Was hast du erzählt?«
    »Och, nichts, was dich interessiert. Wie es nun mal so in einer Ehe ist. Du kennst das doch auch.«
    »Ja, sicher. Aber gibt es etwas, was ich wissen müsste?« Ludevik vermied es, seine Stimme neugierig klingen zu lassen.
    Henry schaute kurz aus dem Fenster. »Nein. Und über die Gerüchte, die man erzählt, brauchen wir nicht zu reden.«
    »Welche Gerüchte meinst du?«
    Henry neigte den Kopf zur Seite als überlege er. »Welche kennst du?«, wollte er wissen.
    »Dass du Sarah geschlagen haben sollst«, antwortete Ludevik ruhig.
    Henry

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