Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
Vom Netzwerk:
tippte sich gegen die Stirn. »Idiotisch, so etwas. Frauen schlägt man doch nicht. Sie sind doch viel zu schwach und für uns Männer keine Gegner. Das hat schon meine Mami gesagt. Ehre die Frauen, hat sie gesagt.«
    »Genau so etwas habe ich mir gedacht«, ging Ludevik auf Henry ein. »Und das mit dem blauen Auge war sicherlich ein Unfall.« »Genau. Sarah hat sich gestoßen.«
    Ludevik schwieg eine Weile.
    »Los, welch ein Gerücht gibt es noch?«, wollte Henry wissen.
    »Ich weiß nicht, ob ich es dir überhaupt sagen soll. Es ist wirklich kein schönes Gerücht.«
    »Dass ich meine Frau vergewaltigt habe? Sag schon, Klaus, meinst du das?«
    Ludevik hatte zwar an etwas anderes gedacht, aber er nickte.
    »Wir haben uns geliebt. Nenne mir einen Grund, meine Frau zu vergewaltigen, he?«
    Ludevik kannte keinen Grund.
    »Hast du schon mal deine Frau vergewaltigt?«
    »Nein, Henry.
    »Na siehst du. Ich auch nicht. Sarah hatte es immer gerne. Sie konnte nicht genug davon kriegen. Und ich habe es ihr gegeben. Wann immer sie wollte. Schließlich waren wir verheiratet. Liebet und mehret euch. So steht es in der Bibel. Klaus, bist du eigentlich katholisch?«
    »Ja.«
    »Dann kennst du das ja auch. Liebet und mehret euch. Geliebt haben wir uns. Leider ist Sarah zu früh von mir gegangen.«
    Henry schaute betrübt auf seine Hände. Er umfasste den Ehering mit zwei Fingern und drehte ihn. Langsam zog er ihn ab, betrachtete ihn von allen Seiten und las von der Innenseite das Hochzeitsdatum ab. »Schon erstaunlich Klaus, was so ein schmaler Ring für eine Bedeutung hat. Eine symbolische Bedeutung. Findest du nicht auch?«
    Henry schaute Ludevik an, und dem kam es jetzt so vor, dass er sich beruhigt hatte. Henrys Reaktionen erschienen ihm normal. Und die Sprache auch, zusammenhängend und nicht zu schnell. Vor jeder Antwort überlegte er einen Augenblick.
    »Henry, soll ich mit dir nach Hause fahren?«
    »Du kannst mich nach Hause fahren, brauchst aber nicht mit ins Haus zu gehen.«
    »Ich würde aber gerne mit hineingehen und mir den Weinkeller anschauen.«
    »Der Engel wird ihn sauber gemacht haben.«
    Ludevik war erstaunt, dass er auch jetzt immer noch so überzeugt von dem Engel sprach, als gäbe es ihn tatsächlich.
    »Henry, darf ich dir erneut einen Rat geben?«
    »Ja, bitte. Deswegen bin ich doch hier.«
    »Fahre in Urlaub. Fahre für mindestens zwei Wochen in Urlaub.«
    Henry nickte. »Du hast Recht. Ich werde in Urlaub fahren. Aber ich sage dir nicht wohin, sonst hört es der Engel auch.«
    Ludevik hatte Henry nach Hause gebracht. Der war am Tor von den beiden Hunden empfangen und zum Haus begleitet worden. Die Labradors gingen jedoch in einigem Abstand neben ihm her. Lange schaute Ludevik Henry nach, auch als der schon längst im Haus verschwunden war. Und dann fragte er sich, was er von der Geschichte zu halten hatte. Henry kam ihm paranoid vor. Seine Klarheit beim Denken war erhalten geblieben, aber die Wahnideen hielten ihn gefangen wie in einer Klammer. Und Ludevik selbst war Zeuge geworden, wie schnell sich diese Wahnideen verstärken konnten.
    Zu Hause hörte er sich das Tonband an. Von Zeit zu Zeit machte er sich zusätzlich Notizen. Seinen Eindruck von vorhin sah er bestätigt. Henrys Denken und Handeln erschien stringent, sein Wollen auch. Allerdings hatte er bisher noch nicht herausfinden können, seit wann Henry diese Wahnideen quälten. Dass er auf Sarah eifersüchtig gewesen war, wusste die ganze Stadt. Aber Eifersuchtswahn? Ludevik würde dies eher verneinen. Liebeswahn? Auch das kam aus seiner Sicht nicht in Frage.
    Um sich jedoch ein endgültiges Urteil bilden zu können, war es noch zu früh. Aber der Engel, den Henry immer zu hören glaubte, könnte auf religiösen Wahn schließen lassen. Und weil der Engel ihn verfolgte, mit seiner Stimme verfolgte … Ludevik schüttelte den Kopf und schien über seine eigene Annahme unschlüssig zu sein. Nur eines wusste er genau: Henry musste behandelt werden. Sein Ichwertgefühl schien instabil zu sein.
    Am kommenden Morgen telefonierte Ludevik mit Henry und wollte in Erfahrung bringen, wie die Nacht gewesen sei.
    Ganz normal, antwortete Henry, er habe tief und fest geschlafen und keinen Traum gehabt, schickte er sofort hinterher. Als wolle er einer Frage zuvorkommen. Er fahre in Urlaub, versicherte Henry erneut. Zwei Wochen mindestens.
    »Und in der Firma habe ich schon Bescheid gegeben, dass sie dort ohne mich auskommen müssen.«
    »Henry, willst du denn nicht

Weitere Kostenlose Bücher