Das Erwachen
Augen, genügte Stort. Im Nu flüchtete er ins Wohnzimmer und verschloss die Tür.
»Wer sind Sie?«, fragte die Frau Master Brif.
»Ich?«, erwiderte Brif verdutzt.
»Ja, Sir. Sie, Sir. Wer sind Sie?«
»Nun, ich bin Master Brif, und das ist Mister Pike ... wir ...«
»Wo ist mein Patient?«
»Im Wohnzimmer«, antwortete der sanftmütige Barklice, »hinter dieser Tür.«
Sie starrte zornig auf die Tür, probierte die Klinke, rüttelte und sagte: »Den Schlüssel, wenn ich bitten darf. Es gehört sich nicht, Patienten einzuschließen.«
Pike lächelte grimmig. »Wir haben ihn nicht eingeschlossen«, sagte er. »Er hat uns ausgeschlossen.«
Die Augen der barmherzigen Schwester Cluckett quollen vor und ihre Wangen färbten sich gefährlich rot, als sie knurrte: »Das ist nicht hinnehmbar.«
Sie trommelte gegen die Tür und rief: »Öffnen Sie augenblicklich, Sir!«
Riegel glitten zur Seite, und die Tür ging auf.
Stort sah sie an.
Sie sah ihn an.
Dann drehte sie sich zu den drei anderen um. »Bitte gehen Sie jetzt. Ich werde mit diesem Gentleman auch ohne Ihre Hilfe fertig.«
»Aber ...«, begann Stort, dessen Tag sehr aufreibend gewesen war und jetzt noch aufreibender zu werden drohte. »Können meine Freunde denn nicht bleiben? Sie haben es mir versprochen. Sie müssen bleiben! Ich kann nicht mit ... mit ... mit einer Frau allein gelassen werden.«
»Ihre Freunde können nicht bleiben, und Sie können nicht gehen«, entgegnete sie, »und damit Punktum!«
Sie schnupperte, schnupperte noch einmal, dann bohrte sie ihm förmlich die Nase in die Brust und schnupperte ein drittes Mal.
»Sie muffeln, Sir, und wer bei mir in Pflege ist, muffelt nicht. Ab ins Schlafzimmer mit Ihnen, und entledigen Sie sich Ihrer Kleidung, damit sie desinfiziert und Ihre Person gewaschen werden kann.«
»Gewaschen? Ich?«
Sie warf einen scharfen Blick über die Schulter zu seinen Freunden.
»Sie sind noch nicht im Aufbruch begriffen?«, fragte sie, drehte sich vollends um und blitzte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
Barklice wich zur Tür zurück.
»Das könnt ihr nicht tun, Freunde«, rief Stort. »Ihr habt versprochen ...«
Doch unter den gestrengen Blicken der Frau suchte einer nach dem anderen das Weite.
»Bitte«, flehte Stort, »lasst mich nicht im Stich, liebe Freunde. Liefert mich ihr nicht aus.«
Doch sie waren bereits entschwunden.
Die barmherzige Schwester schloss die Haustür, drehte den Schlüssel um, zog ihn ab und steckte ihn zu mehreren anderen, die an einem großen Eisenring von ihrem Gürtel baumelten. Dann schob sie sicherheitshalber noch die beiden Riegel vor, die oben und unten an der Tür angebracht waren.
In seinem eigenen Korridor stehend, beobachtete Stort sie mit der Verzweiflung eines Gefangenen, der weiß, dass er von jedem Fluchtweg abgeschnitten ist und sich in seine Bestrafung fügen muss.
Mit klirrenden Schlüsseln kam sie auf ihn zu, einen verwirrenden Glanz auf der Stirn, der Busen gleich dem Bug einer Fregatte, die sich anschickte, ein feindliches Schiff zu rammen.
»Nun, Mister Stort«, sagte sie, »worauf warten Sie denn noch? Wir haben zu tun. Ziehen Sie ihre Kleider aus!«
8
HILFERUF
W ir sollten mit ihr zum Arzt«, sagte Margaret wohl zum hundertsten Mal. »Es ist offensichtlich, dass ihr etwas fehlt.
Bitte, Katherine, es ist doch nur zu ihrem Besten ...«
Es war der fünfte Tag nach Judiths Geburt, und Woolstone House versank in einem Chaos aus Aufregung, Unordnung und nun auch Uneinigkeit. Alle Beteiligten wären mit der schwierigen Situation besser fertig geworden, hätten sie mehr Erfahrung mit Babys gehabt.
Sie hatten keine.
Die Foales waren kinderlos und stammten beide aus Familien, die wenige Kinder hatten oder so weit weg wohnten, dass gegenseitige Besuche selten waren. Und ihr Berufsleben als Universitätsdozenten hatte sie in keiner Weise auf den Alltag mit einem Kleinkind vorbereitet, schon gar nicht mit einem so ungewöhnlichen.
Auch Katherine hatte keinerlei Erfahrung. Sie war als Einzelkind aufgewachsen und hatte im Unterschied zu ihren Altersgenossinnen nie als Babysitter ihr Taschengeld aufgebessert, da sie ihre bettlägerige Mutter hatte betreuen müssen. Und Jack hatte nur kurze Zeit in einem Kinderheim gelebt, bevor er mit Katherine und ihren Eltern jene Autofahrt unternommen hatte, die für diese in einer Tragödie geendet und ihm selbst Verbrennungen dritten Grades eingebracht hatte. Von da an hatte er nur Krankenhäuser und Jugendheime
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