Das Erwachen
kennengelernt. Babys waren kein Teil dieser Welt.
Nur Erfahrung hätte sie darauf vorbereiten können, wie leicht ein Neugeborenes ein Haus ins Chaos stürzen und die darin lebenden Erwachsenen unter Dauerstress setzen kann.
Der kleinste Schrei ist ein Alarmzeichen.
Für eine Erkrankung, einen Fehler beim Stillen.
Kurze Atemnot ein Anlass zur Sorge, für Schuldgefühle.
Ursache für eine schlaflose Nacht ...
Hinzu kommt die Erschöpfung, die mit den ständigen Ängsten und dem Schlafmangel einhergeht.
Bald ist ein geregeltes Leben nicht mehr möglich, und das Verhältnis zueinander wird angespannt, weil alle Gemüter gereizt sind und die Vernunft auf der Strecke bleibt.
So erging es den Bewohnern von Woolstone House, nachdem sie fünf Tage Judiths furchtbarem Geschrei ausgesetzt gewesen waren.
»Zumindest könnte dir ein Arztbesuch Beruhigung verschaffen, Katherine«, sagte Margaret, die völlig entkräftet war, da sie Mutter und Kind zu umsorgen hatte.
»Vermutlich ...«, erwiderte Katherine mit hohläugigem Blick. »Das klingt vernünftig, findest du nicht auch, Jack?«
Es war eine Feststellung und zugleich eine Bitte. So müde, wie sie war, wollte sie einfach nur von jemandem hören, dass sie nicht alles falsch machte.
»Jack«, fügte Arthur hinzu, »ich muss sagen, irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich eingestehen muss, dass man Hilfe braucht. Vielleicht ist dieser Punkt jetzt erreicht ... Im Übrigen sind wir gesetzlich verpflichtet, die Geburt eines Kindes zu melden, selbst wenn es eine ... nun ja ... was immer sie sein mag. Selbst dann.«
Judith stieß einen Schrei aus, einen dünnen Schrei, und Jack zuckte zusammen. Auch er war verzweifelt.
»Gib sie mir«, sagte er zu Katherine und nahm sie ihr behutsam ab. »Ich drehe mit ihr eine Runde im Garten, und wir denken gemeinsam darüber nach. Gönn dir eine Pause, Katherine.«
»Ich möchte keine Pause, Jack, ich möchte, dass Judith sich wohl fühlt.«
An der Küchentür blieb er stehen und blickte zurück zu den anderen, die alle müde und in Sorge waren und einen Ausweg aus dieser Situation, die keiner verstand, herbeisehnten. Abgesehen von den romantischen Vorstellungen, die er gehegt hatte, als Katherine schwanger geworden war, hatte er nie allzu viel über Babys nachgedacht. Babys wachten auf, mussten gefüttert und gewickelt werden, schliefen wieder ein und wachten irgendwann wieder auf. Mehr Gedanken hatte er sich, wenn überhaupt, nicht gemacht.
Aber so einfach war es offensichtlich nicht, und er wusste, dass Katherine sich schreckliche Sorgen machte.
Er sah die anderen an und holte tief Luft. In diesem Augenblick spürte er Judiths warmen Atem an seinem Hals und empfand trotz allem Dankbarkeit. Sie waren seine Familie, seine einzige Familie. Die Foales hatten ihn in ihr Haus aufgenommen und nun auch Judith, und wie er suchten sie einen Weg aus der Ratlosigkeit und Verzweiflung, die sie alle befallen hatten.
»Vielleicht habt ihr ja recht ... Ich weiß es nicht ...«
Dann sprach er zu dem Kind: »Komm Judith, machen wir einen Spaziergang ...«
»Bleib nicht zu lange, ich muss sie stillen.«
»Ist gut ...«, rief er nach hinten.
Judiths Appetit war anscheinend das Einzige, was in Ordnung war.
»Komm, mein Schatz ...«
Er beschloss, mit einem Rundgang durchs Haus zu beginnen, denn wenn er die Treppen rauf und runter stieg, sich rückwärts, da er sie in den Armen hielt, durch Türen schob und an Fenster trat, knarrten die Holzdielen unter seinen Füßen, und dieses Geräusch schien sie ein wenig zu beruhigen.
Das Haus, in dem Katherine einen Großteil ihrer Kindheit verbracht hatte, war groß und weitläufig. Die Foales, mittlerweile beide über siebzig, wohnten hier seit fünfzig Jahren. Arthur war ein ehemaliger Professor für Astralarchäologie, Margaret eine Spezialistin für angelsächsische Literatur.
Ihr Haus stammte aus elisabethanischer Zeit und war im Laufe der Jahrhunderte Stück für Stück erweitert worden. Es verfügte über unzählige Zimmer, drei verschiedene Treppenaufgänge und einen riesigen Dachboden. Der von Margaret genutzte Bereich – ihr und Arthurs Arbeitszimmer, der Wintergarten und die Küche – war sauber und aufgeräumt. Gleiches galt für Katherines Zimmer, das diese sich nun mit Judith und Jack teilte. Es ging auf den Garten hinaus und bot einen Ausblick auf den White Horse Hill.
Seit Katherines Rückkehr war es nach Margarets Maßstäben zu einer Müllhalde verkommen: schwer zu putzen und
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