Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
Vom Netzwerk:
Geheimnis zu kommen. Er war dahintergekommen – wie später auch Katherine, die in das Henge verschleppt worden war, und Jack, der sie aus der Hand der Entführer befreit hatte. Wie auch immer, jedenfalls hatten sich Jack und Katherine in diesem Garten und bei ihren sommerlichen Wanderungen auf den Berkshire Downs und auf dem Kammweg, der am weißen Pferd vorbeiführte, ineinander verliebt.
    Als er nun über den Rasen schritt und Judith einfach nicht zu schreien aufhören wollte, spürte er ihre Qualen, als wären es seine eigenen.
    In der Nähe des Henges, den Rhododendron zu seiner Rechten, blieb er stehen und flüsterte: »Wenn du doch nur sagen könntest, was dir fehlt. Dann könnte Daddy dir vielleicht helfen. Was ist es? Hmm? Finde einen Weg, es mir zu sagen.«
    Jack war so erschöpft wie alle anderen, auch wenn er es nicht eingestehen wollte. Aber hier draußen im Garten, wo niemand ihn sah, mit der untröstlichen Judith im Arm, konnte er es den Bäumen, dem Gras und dem Himmel gegenüber zugeben.
    Er begann zu weinen. Er weinte um Judith und sie alle. Er weinte, weil er ratlos war. Er weinte, weil er das Gefühl hatte, dass nichts richtig und alles falsch war, und weil er nicht helfen konnte.
    Dann, so plötzlich, wie sie immer anfing, hörte sie auf.
    Einfach so.
    Sie hob sogar ein wenig den Kopf, wozu ein Kind am fünften Lebenstag eigentlich noch nicht imstande war. Vielleicht schaute sie auch nach rechts.
    Jack blickte in dieselbe Richtung, und zum ersten Mal seit langem hörte er die Windspiele. Plättchen aus Glas hingen an Fäden von den Büschen und klirrten unablässig im Wind, Tag und Nacht, mal lauter, mal leiser. Ganz verstummt waren sie nur einmal, als Katherines Mutter Clare gestorben war.
    Wie er von Margaret wusste, hatte Clare einige der Windspiele selbst aufgehängt, als sie noch in den Garten hatte gehen können. Offensichtlich hatte sie geglaubt, dass sie den Bewohnern des Hauses Schutz boten vor ... ihnen, wer immer das sein mochte. Übelwollende kleine Leute, Geister und boshafte Kobolde.
    Auch Margaret glaubte offenbar daran oder war jedenfalls der Ansicht, dass es Unglück brachte, es nicht zu tun. Sie sagte, die Windspiele hätten schon in den Büschen gehangen, als sie noch ein Kind gewesen war. Jack hatte sie sich genauer angesehen und dabei festgestellt, dass einige tatsächlich sehr alt waren, das Glas fleckig von Regen und Pflanzenresten. Und noch etwas anderes war ihm aufgefallen. Sie sahen nie genau gleich aus, als ob sie kamen und gingen, die alten wie die neuen. Arthur bezweifelte das, da er jedoch abergläubisch war, kam er ihnen nie zu nahe, so gern er ihnen auch zuhörte.
    Nun schien es, als hätten die Windspiele Judith dazu gebracht, mit dem Schreien aufzuhören.
    Er trug sie zu ihnen, blieb im Wind stehen, der erfüllt war von ihrem Klirren, schloss die Augen, spürte ihren Körper und das Leben darin.
    »Babys sind nicht schwach«, murmelte er, »sondern stark, und du bist stärker als alle. Jetzt sag mir ... was fehlt dir?«
    Wieder stieß sie einen Schrei aus, einen gellenden, entsetzlichen Schrei, den der Wind zusammen mit dem Klirren der Windspiele davontrug, hinüber in das Henge und hinauf in den Himmel. Es war ein Hilferuf.
    Wie Jack so dastand, die Arme um sie geschlungen, spürte er plötzlich ihren Schmerz, spürte ihn wirklich.
    »Nein!«, rief er. »Nein!«
    Ein Bild stieg in ihm auf, ein Bild aus der Zeit, als er neun gewesen war.
    Er im Bett, ein frisches Hauttransplantat am Rücken, mit unerträglichen Schmerzen. Ärzte, Krankenschwestern und andere Leute stehen um ihn herum und schauen auf ihn herab. Niemand berührt ihn, niemand hält ihn, nur Erwachsenenaugen, die ihn anstarren, und jemand sagt: »Natürlich wird er noch eine brauchen ...«
    »Nein«, schreit er. »Nein!«
    Das war der Beginn seines Kampfes mit Gesundheitsbehörden und Jugendämtern, und immer hatte er sich jemanden gewünscht, der für ihn kämpfte. Er hatte nie jemanden gehabt.
    Aber Judith hatte jemanden.
    »Du hast mich und Mummy, Arthur und Margaret ...«
    Er hielt sie fest und weinte wieder, bis er eine Hand auf der Schulter spürte. Es war Katherine.
    »Ich werde nicht zulassen, dass sie ihr antun, was sie mir angetan haben«, sagte er.
    »Sch!«, machte sie. »Sch, mein Liebling ...«
    »Mein Gefühl sagt mir, dass es das Beste ist, sie warm und trocken zu halten und zu stillen. Oder sieht sie etwa krank aus?«
    »Arthur sagt, dass sie bereits wächst. Er misst sie sogar

Weitere Kostenlose Bücher