Das Erwachen
nein, werden ungefähr neunzig Zentimeter groß und sind in jeder Hinsicht so rührig, intelligent und geistreich oder auch so faul, dumm und langweilig, wie es jeder Sterbliche sein kann. Aber angesichts der Bedrohung durch ihre riesigen Vettern haben sie die Kunst erlernt, sich zu verstecken und unbemerkt zu bleiben.
Mit der Zeit beherrschten sie diese Kunst so gut, dass die Menschen gar nicht mehr erwarteten, sie zu sehen, und vergaßen, wie es ging. Bis die Menschen irgendwann, wenn sie einen Blick auf die Hydden erhaschten, was durchaus häufig vorkam, gar nicht mehr wussten, was sie sahen. Und daran hat sich auch bis heute nichts geändert.
Als Folge davon erkannten die Hydden vor langer Zeit, dass sie vor den Menschen gar nicht mehr zu fliehen und an wilden, unwegsamen Orten zu leben brauchten.
Stattdessen taten sie das einzig Vernünftige und ließen sich in den Städten der Menschen nieder. An stillgelegten Bahnlinien und Abstellgleisen, vergessenen oder überflüssigen Kanälen, rings um überbaute Wasserläufe und in Lücken zwischen alten Fabriken undunzugänglichen Lagerhäusern konnten sie ein bequemeres und zufriedeneres Leben führen.
Heutzutage gibt es auf der ganzen Welt keine Menschenstadt, die nicht tief in ihrem Innern eine blühende Hyddenstadt birgt.
Die meisten haben unter den Hydden ihren Menschennamen behalten. Für einige wenige kam jedoch im Laufe der Zeit ein eigener Hyddenname in Gebrauch. Zu ihnen gehört Brum, die angesehenste Stadt von Hyddenwelt und ein Hort der Freiheit, Individualität und Vernunft. Und wo liegt dieses Brum?
Mitten im schattigen Herzen des alten Birmingham, nicht mehr als eine oder zwei Meilen vom nördlichen Ende der alten, zum Waseley Hill führenden Pilgerstraße entfernt.
Jack und Katherine erreichten ihr Ziel, als die Kirchturmuhr am letzten Apriltag Mitternacht schlug, in jenen Stunden also, in denen der Frühling dem Sommer weicht und hellere Tage anbrechen.
Aber jeder Hydden weiß, dass es nicht ratsam ist, sich in diesen Stunden des Jahreszeitenwechsels nach Einbruch der Dunkelheit im Freien aufzuhalten. Sonderbare Dinge geschehen, merkwürdige Zeitverschiebungen treten auf, Kinder verschwinden – und Schildmaiden werden geboren! –, und die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verwischen und werden bisweilen durchlässig.
Mit einem Wort, es ist eine denkbar ungünstige Zeit für einen Hydden, allein auf dem alten Pilgerweg am Waseley Hill zu wandern, umschattet wie dieser ist, von unvollendeten Träumen, unerfüllten Sehnsüchten und unzufriedenen Geistern.
Besser also, man bleibt zu Hause, verschließt die Tür, lässt niemanden herein, feiert ein fröhliches Fest, führt ein Gespräch, liebt sich, wenn es angebracht erscheint, aber man geht nicht ins Freie.
Nun hatte sich Master Bedwyn Stort leider nicht in der glücklichen Lage befunden, selbst darüber entscheiden zu können.
Nach der Trennung von seinen Freunden hatten ihn ein kalter Wind und ein leidiger Regen nach Norden getrieben, als wollten sie ihm zu verstehen geben: Master Stort, Sie müssen eilends nach Brum, es droht Gefahr!
Zuerst hatte er die stillschweigende Warnung von Wind und Regen beherzigt und sich gesputet. Doch der junge Stort – er zählte dreiundzwanzig Jahre – war von Natur aus leicht abzulenken und beim Reisen nicht der Schnellste. Hoch aufgeschossen und tolpatschig, neigte er dazu, über seinen eigenen Knüppel zu stolpern oder nach einer Rast überstürzt aufzubrechen und etwas Wichtiges liegenzulassen, sodass er denselben Weg wieder zurückgehen musste.
Da er sich nie entscheiden konnte, was er auf eine Reise mitnehmen sollte und was nicht, nahm er stets zu viel mit. Die Folge war, dass seinen Rucksack Dinge beschwerten, für die kaum ein anderer Verwendung gefunden hätte – schwarze Müllsäcke, Schnüre, ein Ersatzbecher aus angeschlagenem Emaille, Schlehdornruten, geschwärzte Korken und dergleichen mehr.
Schlimmer noch war, dass er häufig sein Ziel aus den Augen verlor und in die Irre ging. Dabei widerfuhren ihm so häufig Missgeschicke und Unfälle, dass seine Freunde es lieber gesehen hätten, er wäre brav zu Hause in Brum bei seinen Büchern geblieben.
Doch das konnte er nicht. Die Erfindungen, die er ersann, musste er draußen in der Welt erproben, die Sprachen, die er lernte, im lebendigen Gespräch üben, und seine unstillbare Neugier auf alle Dinge in den Welten von Hydden und Menschen weckte unablässig die Wanderlust in
Weitere Kostenlose Bücher