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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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udith erwachte und blickte an die Zimmerdecke.
    Sie hörte Vögel zwitschern, betrachtete die Fäden eines Spinnennetzes, die vom rissigen Putz hingen und in einem Luftzug hin- und herschwangen, und die Gestalt ihrer Mom, die groß und schwer neben ihr lag.
    Kurz entschlossen rollte sie sich aus dem Bett. Dann stand sie da, bekleidet mit einem Nachthemd, das eigentlich ein T-Shirt ihres Vaters war und ihr bis zu den Knöcheln reichte, und blickte auf den blonden Haarschopf, der alles war, was sie von ihrer Mom sehen konnte. Sie schlief. Ihre leisen, gleichmäßigen Atemzüge erfüllten den Raum, und die Vögel draußen waren laut.
    Judith tappte durch die offene Tür, hinüber zu dem Zimmer, in dem ihr Dad auf dem Fußboden schlief, ging hinein und blieb mit kalten Waden stehen.
    Irgendetwas stimmte nicht, die Welt hatte sich verändert.
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie begriff, was es war: Sie hatte keine Schmerzen.
    Überhaupt keine.
    Das war es, was nicht stimmte.
    Sie spürte kalte Luft an ihren Füßen und Beinen, aber das war kein Schmerz. Heute Morgen taten ihr weder die Knie weh noch die Fußknöchel, auch nicht der Rücken, die Arme oder die Handgelenke, auch nicht die großen Knochen in ihren Beinen oder irgendetwas anderes.
    Sie ging den Flur hinunter zu Arthurs und Margarets Schlafzimmer, aber die Tür war zu.
    Sie blieb davor stehen und lauschte. Als sie nichts hörte, fasste sie nach oben und berührte einen Lichtschalter aus weißem Kunststoff, dann zog sie an einem losen Stück Tapete darunter, bis es noch loserwar, und rieb den rechten Fuß an dem rauhen Teppich, auf dem sie stand.
    Sie wollte Pipi machen, denn davon war sie aufgewacht, und schlug den Weg zur Toilette ein. Doch da sah sie durchs Treppengeländer, wie unten in der Diele die Sonne schräg auf den Fußboden schien. Sie machte kehrt und stieg die Treppe hinab, spürte im Gehen, wie ihre Finger gegen die Geländerstäbe prallten und dann wieder in ihre Ausgangsposition zurücksprangen. Prallten und zurücksprangen, prallten und zurücksprangen.
    Die Sonne schien durch die Tür zum Wintergarten, die einen Spalt offen stand.
    Judith stieß sie mit einem sanften Stups auf, wie sie es schon öfter getan hatte. Die Angeln quietschten. Während die Sonne Judiths Körper in Wärme hüllte, kam die Tür zum Stehen und schwang langsam zurück.
    Judith stieß sie wieder auf und trat ins Licht, während die Tür hinter ihr zufiel.
    Vogelgezwitscher erfüllte den Wintergarten. Sie schloss die Augen und drehte sich schnell im Kreis, und ihre Zehen wackelten in Richtung des blauen Himmels über dem Glas.
    Sie öffnete die Augen wieder, trat auf einen Teppich, da der Mosaikfußboden kalt war, und betrachtete nachdenklich die Tür, die ins Freie führte. Der Schlüssel hing an einem Nagel an der Seite, sodass er ohne Stuhl für sie unerreichbar war.
    Ein Korbstuhl stand in der Nähe, und zum ersten Mal seit dem Aufwachen dachte sie daran, dass sie andere wecken könnten. Vergeblich versuchte sie den Stuhl hochzuheben. Schließlich schob und zog sie ihn zur Tür, kletterte hinauf und nahm sich den Schlüssel.
    Es war leicht, ihn umzudrehen, aber schwer, die Tür festzuhalten, damit sie nicht zurückschwang und zuknallte. Doch ganz vorsichtig schaffte sie es.
    Dann hinaus in die kalte Morgenluft, die vor ihr wie eine Straße in der Sonne flirrte. Hinaus in das Gezwitscher und die Geräusche der Natur. Sie überquerte die marode Terrasse und trat in das taufeuchte Gras.
    Wieder wackelte sie genüsslich mit den Zehen.
    Sie entdeckte eine Schnecke, die sich mit ihren ohrenähnlichenFühlern langsam vorantastete. Ihr gewundenes Haus war schwarz und hellgelb. Gleich daneben kroch eine zweite.
    Sie stutzte und blieb stehen. Sie hörte ein Geräusch. Nein, sie fühlte das Geräusch. Nein, sie sah es.
    Irgendwo am anderen Ende des Rasens bewegte sich etwas.
    Sie kauerte sich nieder, tat so, als wollte sie nach der Schnecke greifen, hielt aber inne und verharrte völlig regungslos, die Sonne angenehm warm auf ihren Füßen und ihrer Nase. Dann hob sie den Blick und entdeckte den Fuchs, hundert Meter entfernt.
    Sie richtete sich wieder auf und sah ihn an, und er sah sie an. Sie ging auf ihn zu, nur durch Gras und Tau von ihm getrennt, Herrin in ihrem Reich, den Blick fest auf ihn gerichtet.
    Er drehte sich um und wollte davonschleichen, aber er verschwand nicht, als sei es ihm verboten.
    Du bleibst hier, Herr Fuchs, bis ich sage, dass du gehen darfst.
    Der

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