Das Erwachen
sich umdrehte.
Über den Dritten fielen die sechs anderen her wie Ratten über eine lebende Beute. Mit einem Messer schnitten sie ihm die Kehle durch, als er aufsprang.
Zufrieden nahm Slew zur Kenntnis, dass das Trio aus dem Weg geräumt war.
Die Kräfteverteilung war ideal für seine Zwecke: Zwei von den sechsen würden vermutlich oben die Stellung halten, vier würden sich unten die Pilger vornehmen, zunächst mit Armbrüsten, um sie zu töten oder kampfunfähig zu machen, dann mit den Knüppeln zu ihrem Vergnügen. Die Wyfkin würden sie am Leben lassen und in den Wald verschleppen, und nach Tagen oder Wochen, vielleicht Monaten der Erniedrigung, in denen sie immer weiterverschachertwurden und ihr Wert stetig sank, würden sich die Frauen wünschen, sie wären ebenfalls tot.
Slew hatte die Absicht, ihr Retter zu werden.
Es kam, wie er vorausgesehen hatte. In dem Augenblick, da die vier nach unten stürmten, pirschte er sich an die beiden anderen, die oben geblieben waren, heran. Lautlos tötete er sie, indem er den einen erstach, den anderen erdrosselte.
Dann schlich er nach unten und beobachtete, was sich auf dem Weg abspielte, wo ein Kräfteverhältnis von vier gegen vier herrschte, die Frauen nicht mitgezählt.
Er wartete, bis einer der Pilger kampfunfähig am Boden lag, ein zweiter heftig blutete und die Frauen vor Angst kreidebleich waren.
Dann trat er auf den Plan. Er erschoss einen Räuber von hinten, streckte einen zweiten mit dem Knüppel nieder.
Das Kräfteverhältnis verschob sich, aber die anderen beiden kämpften nun noch verbissener, da sie darauf zählten, dass ihre Komplizen aus dem Versteck herunterkamen. Slew wollte nicht, dass einer der Pilger starb. Er wollte von ihnen als einer der ihren aufgenommen werden, und nicht eine Gruppe von Trauernden begleiten.
Er warf sich zwischen die Kämpfenden und tat, was er tat, mit solch eleganter Leichtigkeit und Fertigkeit, dass es ein wenig nach Glück aussah. Schreiend, brüllend und stöhnend ergriffen die Schurken die Flucht, und Slew setzte ihnen nach, mehr schlecht als recht, wie ein Mönch eben, aber tollkühn. Jedenfalls hoffte er, dass es so wirkte.
Das tat es.
Die verwundeten Pilger wurden verarztet.
Die Unversehrten waren zutiefst erschüttert und grenzenlos dankbar.
Slew, der sich als Bruder Slew vorstellte, war die Bescheidenheit in Person. Er erzählte, er habe leichtsinnigerweise den Weg verlassen, um seine Notdurft zu verrichten. Dann habe er gesehen, wie die Bande heruntergekommen sei, habe zwei von ihnen, die nicht geahnt hätten, dass er im Gebüsch steckte – »Man tanzt und singt nicht, wenn man sich im Schutz der Brombeeren erleichtert.« – unschädlich gemacht, und der Rest sei ihnen ja bekannt.
Sie hätten alle miteinander Glück gehabt.
»Würden Sie mit uns zusammen weiterreisen, Bruder Slew?«
Er sagte, es sei ihm ein Vergnügen, aber er müsse ihnen ein Geständnis machen – er sei kein richtiger Ordensbruder wie die anderen allein reisenden Pilger. Nein, er sei ausgebildeter Fyrd, habe seinen Abschied genommen und wolle nach Brum pilgern, um Sühne zu leisten für Dinge, die er getan habe und die ihm auf der Seele lägen.
»Ein edler Vorsatz, mein Freund. Wir werden Sie trotzdem Bruder nennen. Und der Knüppel, die anderen Pilgersiegel?«
»Die Leute sind gut«, antwortete er. »Und eine Wallfahrt befördert das Gute. Ich habe in Harwich einem sterbenden Pilger ein Versprechen geleistet. Er wollte aus nur ihm selbst bekannten Gründen diesen beiden Siegeln hier das Brumer Siegel hinzufügen. Da er das nicht mehr tun kann, trage ich seinen Knüppel als Buße in die berühmte Stadt und werde ihn als Opfergabe auf dem Waseley Hill zurücklassen.«
»In unserer Gesellschaft, wenn Sie uns mit Ihrer beehren wollen.«
Die Augen der Töchter leuchteten, als sie ihm die Hand gaben. Dunkle Augen, kräftiger Händedruck, bescheidenes Auftreten – ein Held.
Als sie schließlich gesund und wohlauf das Osttor von Brum erreichten, stand Bruder Slew den Pilgern so nahe wie ein richtiger Bruder.
Was die Frauen anbelangte, so hatte er bereits einer unter die Röcke gefasst und die andere beschlafen.
Kurzum, er verlebte angenehme Tage.
Aber die Zeit wurde knapp.
Er hatte nicht mehr lang, um den Stein zu finden, zu stehlen und seine Verabredung mit Borkum Riff einzuhalten.
»Lieber Bruder Slew«, riefen sie, »sollen wir gemeinsam eine Unterkunft suchen?«
»Wenn Sie darauf bestehen, gern.«
20
EIN WILDFANG
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