Das Erwachen
gelang, sein Vorhaben wieder vergessen hatte. Allerdings entdeckte er etwas später, als es bereits dämmerte, direkt über ihnen ein zweites solches Zeichen im Geäst.
»Glauben Sie, das könnte eine Wegmarkierung sein, dieses ...?« Er konnte die Frage nicht zu Ende bringen, da ihm Barklice das Wort abschnitt.
»Was?«, erwiderte der Forstmeister gleichgültig.
»Das Band in den Zweigen, wie das vorhin ...«
»Ich habe nichts dergleichen gesehen«, sagte Barklice. »Jetzt nicht und vorher nicht.«
»Aber da hängt es doch, direkt über Ihrem Kopf!«
Barklice tat so, als schaue er nach oben. »Ich sehe nur Zweige und einen Himmel, der immer dunkler wird«, befand er und eilte weiter.
»Wäre es möglich«, sagte Stort, der sich nicht so leicht abspeisen ließ, »dass eine Zusammenkunft in Vorbereitung ist? Irgendwo habe ich gelesen, dass Bilgener gewöhnlich in der dritten Maiwoche ...«
Barklice blieb abrupt stehen.
»Mister Stort, das geht zu weit. Sie bezichtigen mich offen der Lüge, wenn sie behaupten, ich sehe etwas, das ich nicht sehe, und Sie brüsten sich mit Ihrem schalen Gelehrtenwissen über angebliche Zusammenkünfte, was mich ärgert.«
»Ich wollte doch nur ...«
»Es gibt keine Zusammenkünfte, es hat nie welche gegeben, und es wird nie welche geben.«
»Aber mein Bester.« Stort war betroffen über den haltlosen Vorwurf seines Freundes, er prahle mit »schalem Gelehrtenwissen«. Er erinnerte sich noch sehr genau an den Tag, an dem ihm Master Brif ein fabelhaftes Werk vorgestellt hatte: Bruder Moretons Volkskultur, Sitten und Gebräuche der nördlichen Hyddenwelt. »Bestimmte Volksversammlungen sind in der Tat sehr berühmt, ihre Existenz hinlänglich belegt.«
Barklice musterte ihn mit unverhohlener Besorgnis, doch Stort war kein Mann, der sich ins Bockshorn jagen ließ, wenn es um die Wahrheit ging.
»Wie zum Beispiel Paley’s Creek, dessen Ursprung und Lage niemand zufriedenstellend ermittelt hat, obwohl es viele Zeugnisse vonHydden gibt, die der Zusammenkunft beigewohnt haben. Ihre Erinnerung war hinterher allerdings etwas ... nun ja ... verschwommen.«
Die Besorgnis in Barklices Gesicht wich heftigem Unwillen.
»Wenn Sie so weitermachen«, bellte er, »werde ich noch ... ungehalten. Sie reden zu viel Unsinn, Stort. Jeder, der mehr tut, als die Nase nur in Bücher zu stecken, weiß, dass es einen Ort wie Paley’s Creek niemals gegeben hat und niemals geben wird! So ... es wird dunkel, und hier ist der Boden zu feucht, um ein Lager aufzuschlagen. Wir müssen uns einen trockeneren Platz suchen!«
Selbst nach diesem unerwarteten Wortwechsel hätte Stort den Vorfall möglicherweise vergessen, wie es Barklice offenbar schon bald tat, wären sie nicht kurze Zeit später auf eine Bilgenerfamilie gestoßen. Diese bereitete sich gerade einen Trunk und war bester Dinge. Die Frauen trugen wie üblich bunte Seide, die Männer farbenfrohen Barchent. Die Kinder spielten und sangen dabei seltsame, fremdartige Reigen.
»Wie geht’s, wie steht’s und schönen Abend!«, rief einer der Männer, als er sie sah.
»Reden Sie nicht mit ihnen, geben Sie nicht mal Antwort!«, zischte Barklice und hastete weiter, als wäre da gar niemand. »Bei der kleinsten Gelegenheit stoßen sie Ihnen ein Messer zwischen die Rippen.«
»Aber ...«, begann Stort, bestürzt über die ungewohnte Grobheit seines Freundes und bekümmert, als er sah, wie das Lächeln aus den Gesichtern der Bilgener schwand.
»Guten Abend«, sagte er, »schenken Sie meinem Freund keine Beachtung. Er ist ... nun ja ... Und wohin sind Sie unterwegs?«
Die Antwort verblüffte ihn.
»Zum Creek selbstverständlich!«, rief einer. »Wo wir gemütliche Stunden verleben werden. Jeder ist willkommen, Sterbliche aller Art, Sie eingeschlossen!«
»Zum Creek?«, wiederholte Stort leise. »Meinen Sie Paley’s Creek?«
»Der alte Paley ist tot, drum heißt es nicht mehr so, gewissermaßen, doch auf der anderen Seite haben Sie schon recht, denn einen anderen Namen gibt es nicht, nur seinen, der Spiegel sei seiner sündhaften Seele gnädig.«
»Ist es weit von hier, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Stort.
»I wo, Sir, nur immer weiter auf der Straße nach Woolstone, unter dem großen, alten Tier durch, runter zum Fluss und durch die Wiesen und Auen, in deren Norden wir uns jetzt befinden. Und dann nach Süden zum Ufer.«
»Äh ...«, begann Stort, dem diese Wegbeschreibung, so es sich um eine handelte, höchst willkommen war, auch
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