Das Eulentor
lange kein Basislager mehr. Wir bezeichnen es mittlerweile als Station«, korrigierte ich den Mann. Meine und Kathis Blicke trafen sich für einen Moment, und in Gedanken sprach ich die nächsten Worte, mit einer Spur Stolz in der Stimme, zu ihr: »Eine Station, die auf diesem Breitengrad ihresgleichen sucht.«
»Ich hoffe für Sie, daß dem tatsächlich so ist.«
»Gehen wir hinein, ehe wir erfrieren«, schlug ich vor.
Während einer der isländischen Arbeiter frischen Kaffee aufsetzte, führte ich unsere Besucher durch die Station. Nähstube und Schreinerwerkstatt standen unmittelbar neben dem Hauptgebäude und waren mit einem Handlauf verbunden, damit wir den Weg selbst bei schlimmstem Schneegestöber finden konnten. Nach der Besichtigung gingen wir in das Haupthaus, welches mittlerweile fertiggestellt war. Es bestand aus dem zentralen Schachtraum, um den alle Zimmer sternförmig ausgerichtet lagen: eine Küche und eine Toilette, sowie je ein Wasch-, Schlaf- und Aufenthaltsraum. Ein Tunnel im Schnee verband die Küche mit dem Vorratslager, wo wir unseren Proviant verstauten. Direkt an das Hauptgebäude grenzte noch der Heiz- und Technikraum, in dem sich der Generator für die Stromversorgung befand. Von da führte ein zweiter Tunnel zu unserem externen Kohlen-, Holz-, Öl- und Diesellager. Das war unser Reich. Hinter den Gebäuden standen noch die beiden Hundezwinger für die Huskies, und weiter weg trotzten die grünen Zelte der Zimmerleute immer noch dem Wind, obwohl wir das Camp seit heute morgen nicht mehr brauchten. Diese Station, so komfortabel wir sie uns eingerichtet hatten, war nichts für eine Frau, trotzdem folgte Kathi Bloom uns tapfer und besah sich jeden Raum. An ihren Blicken, die sie mir ständig zuwarf, merkte ich, wie stolz sie auf mich war. Nur in Lindemanns Gesichtsausdruck konnte ich nichts lesen. Selten, daß sich mir gegenüber ein Mensch so verschloß. Seine versteinerte Miene drückte weder Begeisterung noch Mißbehagen aus.
Nach einem Lichtbildvortrag über den Baufortschritt, den ich sorgfältig vorbereitet hatte, um die Entwicklung der Station zu dokumentieren, erhob sich Lindemann von seinem Stuhl und warf einen Blick auf die Taschenuhr. Seinen Kaffee hatte er bisher nicht angerührt. »Alles sehr schön«, sagte er schließlich. »Doch dafür allein gibt die Fakultät kein Geld aus.«
Mit einem Mal erstarb das Gemurmel der Matrosen. Kapitän Anderson und der Schiffsarzt sahen mich erwartungsvoll an. Indessen schritt Lindemann langsam auf mich zu. »Ob dieser Aufwand, den Sie hier treiben, wirklich nötig ist, werden wir noch sehen«, murrte er. »Was mich im Moment mehr interessiert, ist der Schacht.«
»Selbstverständlich.« Meine Stimme war rauh von den vielen Erklärungen, die ich bisher abgegeben hatte. Zudem klopfte mir das Herz bis zum Hals.
Ich legte die Diareihe zur Seite. Die klammen Finger in den Hosentaschen verborgen, führte ich Lindemann zum Schachtraum. Ich zog an dem Leinentuch, welches das Gerüst umspannte. Die Eisenringe klapperten zur Seite. Schlagartig schlug uns eine nach Schwefel und Kalkstein stinkende Kälte entgegen. Kathi Bloom trat einen Schritt zurück, und sogar Doc Travis rümpfte die Nase. Hinter der hüfthohen Absperrung befand sich ein Loch in den Dielenbrettern. Mitten drin lag die Öffnung im Felsboden, unspektakulär, gähnend schwarz, mit etwas über drei Metern Durchmesser. An einem über dem Abgrund gespannten Draht hing eine Luxlampe mit der Stärke von zweihundert Normalkerzen, die etwa die ersten sieben Meter des Schachts ausleuchtete. Aus der Tiefe hallte ein metallenes Klopfen. Hansen! Er hatte nicht einmal mitbekommen, daß Besucher in unserer Station weilten, da er wie ein Besessener an seiner Steigleiter arbeitete.
Lindemann legte den Kopf schief. Er registrierte den Lärm, doch ließ sich unmöglich feststellen, ob ihn diese Tatsache zufriedenstellte oder nicht.
»Hier wird bereits gearbeitet, obwohl die Station erst vor kurzem fertig gestellt wurde?« fragte Kathi Bloom plötzlich, die bis dahin kein Wort gesagt hatte. Noch bevor sich ihr alle zuwandten, nickte sie mir mit einer aufmunternden Geste zu.
»Selbstverständlich«, antwortete ich mit trockenem Mund. »Wir verwenden jede freie Minute, um die Arbeiten im Schacht voranzutreiben.« Unsicher blickte ich zu Lindemann.
Die Gesichtszüge des Ingenieurs hellten sich für einen Moment auf. Zum ersten Mal seit Wochen kam mir Hansens Dickköpfigkeit gelegen. Möglicherweise
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