Das Eulentor
imposant aus – und der Bau wuchs von Tag zu Tag. Das Herzstück des Gebäudes – der Schachtraum, wie wir ihn nannten – sowie die umliegenden Zimmer maßen insgesamt über neunzig Quadratmeter. Aber ein Raum mußte noch fertiggestellt werden, außerdem waren weder Fenster noch Türen eingehängt, daher hallte das Hämmern der Isländer weit über die Ebene.
In Hansens Augen war diese Anstrengung eine Zeit- und Geldverschwendung. Er konnte nicht schnell genug in den Schacht klettern. Natürlich faszinierte mich der tiefe, unergründliche Schlund ebenso wie ihn, doch ich wollte eine massive Grundlage für unsere Forschung schaffen, bevor wir den ersten Schritt in die große Dunkelheit setzten. Aber wie immer mußte Hansen der Erste sein.
Je näher ich der Station kam, desto lauter drang das hohle, metallene Pochen aus dem Schacht. Hansen, dieser Narr, arbeitete ohne Pause. Innerhalb der nächsten Tage mußte ich ein ernstes Wort mit ihm reden.
*
Die nächsten beiden Tage bekam ich Hansen kaum zu Gesicht. Als ich in der Frühe des dritten Tages auf den Knien rutschend den letzten Linoleumboden verlegte, krachte ein Schuß. Das Echo hallte für mehrere Sekunden in der Bucht. Kapitän Andersons Signal! Die Skagerrak hatte endlich den Fjord erreicht. Der Schuß erinnerte mich an jene Gewehrsalve, die mir vor vier Monaten das Leben gerettet hatte. Jan Hansen, durch Fieber und Schüttelfrost geschwächt, war an jenem Tag reglos in eine Plane gehüllt neben mir gelegen. Mit letzter Kraft hatte ich mich durch das Zelt geschleppt, nach der Flinte gegriffen und den Hahn gespannt. Zu schwach, um ins Freie zu kriechen oder auch nur den Lauf zu heben, hatte ich kurzerhand durch die Zeltwand geschossen, den Pulverrauch eingeatmet und war anschließend ohnmächtig geworden. Ich war erst wieder auf der Trage zu mir gekommen, mit der mich die Matrosen ins Boot gehievt hatten. Oft dachte ich an diesen Moment – zu oft, und jedes Mal hoffte ich, die Erinnerung würde endlich verblassen.
Dieses Mal wurde Kapitän Andersons Signal durch einen Schuß der Zimmerleute beantwortet. Während die Gewehre krachten, lief ich aus der Station ins Freie, wo die Isländer bereits auf mich warteten. Gemeinsam eilten wir vom Plateau zum Strand. Da der Fjord zum Teil zugefroren war, stapften einige Matrosen mit Flinten übers Eis, um Taucherenten zu jagen. Eine Stunde später tranken Kapitän Anderson, seine Männer, die Isländer und ich kräftige Geflügelbrühe und verzehrten heißhungrig das Entenfleisch. Erst nach dem Essen und einer guten Zigarre wurden das Baumaterial und die Proviantkisten ausgeladen. Mit dem Robbenfleisch, Hundekuchen und Zwieback würden wir zwei weitere Wochen auf der Insel auskommen. An Komfort sollte es uns nicht mangeln, denn darüber hinaus erhielten wir die angeforderten Maisbüchsen, sowie Butter, Milchpulver, Schokolade, Petroleum, geräucherte Heringe und jede Menge Schweinefleisch. Mit den Türen, Fenstern und dem restlichen Baumaterial betrug das Gewicht der Lieferung knapp zwei Tonnen. Zuletzt überreichte mir Doc Travis ein Bündel Briefe und ein Paket mit Büchern, um die ich ihn gebeten hatte. Es tat gut, den alten Briten wiederzusehen, auch wenn es nur von kurzer Dauer war. Nachdem die Matrosen alles ausgeladen hatten, legte Kapitän Anderson noch am selben Abend wieder ab, da er wie immer hinter dem Zeitplan lag. Ich sah dem Schiff wehmütig nach. Es wurde immer kleiner und verschwand hinter der Fjordbiegung.
Während die Männer die Ausrüstung und den Proviant mit den Schlittenhunden auf das Plateau brachten, verwahrte ich die Schriftstücke in der Jackentasche. Ein besonderer Brief befand sich darunter, den ich erst im Zelt öffnen wollte. Hier würde der Wind das Papier nur zerreißen. Außerdem hütete ich mich, den Isländern auf die Nase zu binden, daß mir Fräulein Blooms Schreiben die Kraft gab, meine Arbeit voranzutreiben. In den Augen der Männer war ich ein junger, aber unnachgiebiger Forscher und Abenteurer, der neben Jan Hansen als einziger die Spitzbergen-Expedition überlebt hatte. Sie ahnten nicht, was ich empfand, wenn ich das rosafarbene Briefpapier auseinanderfaltete, Kathi Blooms Parfum roch und ihre geschwungene Handschrift sah – und dabei beließ ich es. Nur ich allein sollte wissen, was mich zu Hause erwartete, sobald ich dieses Projekt erfolgreich abgeschlossen hatte.
Als ich auf dem Plateau ankam, füllten die Männer gerade das Vorratslager. In einer Schneewehe
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