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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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anderen.
    Die Ruderboote wurden ins Wasser gelassen, und Kathi winkte mir während der Überfahrt zu. Dabei hätte ihr der Wind beinahe den Hut vom Kopf gerissen. Kurz darauf wurde der Anker gelichtet, und Kapitän Anderson legte ab. Während die Skagerrak wendete und mit vollen Segeln aus der Bucht manövrierte, kam die Sonne hinter den Wolken hervor und tauchte das Tal in dunkelviolettes Licht.
     
    *
     
    Trotz der klirrenden Kälte saß ich abends auf der von Hansen gezimmerten Holzbank am Rand der Klippe und starrte in den Fjord. Hinter mir hörte ich das Knirschen von Krücken im Schnee. Ächzend ließ sich der Walfänger neben mir auf die Bank fallen, steckte sich eine Zigarre an und reichte mir einen Blechnapf und eine Kanne mit frischem Kaffee.
    Ich zündete mir ebenfalls eine Zigarre an. Dazu tranken wir das heiße, dampfende Gebräu.
    »Wie ist es gelaufen?« fragte er.
    »Meine gesamten Vorbereitungen haben ihn beeindruckt wie einen hungrigen Schlittenhund eine goldene Uhr.«
    Hansen blähte die Nasenflügel. »Heißt das, wir sind aus dem Rennen?«
    »Im Gegenteil, Kathi Bloom und deine Steigleiter haben unser Projekt gerettet«, gab ich zu.
    »Sie war hier?«
    Ich nickte.
    »Das ist wahre Liebe, mein Guter. Du kannst dich glücklich schätzen.«
    »Ja«, seufzte ich. »Es zerreißt mir das Herz, wenn ich daran denke, wie nahe sie mir vor wenigen Augenblicken noch war, sich aber jede Minute weiter von der Insel entfernt.«
    »Auch diese Zeit geht vorüber. Was hat sie eigentlich hier gemacht?«
    Ich erzählte Hansen von der mißglückten Diavorführung und dem anschließenden Gespräch.
    »Besser hätte es nicht laufen können – aber trotzdem …« Mit finsterem Blick fügte ich hinzu: »Dieser aufgeblasene Kerl hat mit keinem Wort gewürdigt, was wir hier in den letzten Monaten geleistet haben. Er interessiert sich nur für den Schacht.«
    »Was kümmert dich dieser Idiot?« Hansen schlug mir auf die Schulter. »Immerhin haben wir die Gondeln und Seilwinden erhalten. Jetzt geht es in einem anderen Tempo voran.« Er stieß einen Pfiff aus, der durch die Bucht hallte.
    Trotz seiner Freude blieb meine Stimmung gedämpft. Es verging kein Tag, an dem ich nicht an den jungen Schweden Christianson dachte und ihn vor mir sah, wie er mitsamt Zelt, Öllampe und Proviantkiste in den Schacht stürzte. Aber auch die Gedanken an Vanger und Harpun ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Ich blickte hinunter zur Küste, wo Harpuns mit Kerzen und einem Holzkreuz geschmücktes Steingrab lag. Von hier oben nur als grauer Schemen zu erkennen, wußte ich dennoch genau, wo es sich befand. Bestimmt wäre es auch Harpuns Wunsch gewesen, seinen Leichnam nicht nach Tromsø zu überstellen, sondern ihn auf der Insel beerdigt zu belassen. Und so erinnerte mich das Grab jeden Tag wie ein Mahnmal an mein Versagen.
    Als habe Hansen meine Gedanken erraten, legte er mir plötzlich die Hand auf die Schulter. »Ich sehe es in deinem Blick. Ich schaue auch oft zur Küste, in der Hoffnung, irgendwo die verschollenen Kameraden zu finden, aber sie tauchen nicht auf.«
    Ich erhob mich. »Um so mehr sollten wir ihrem Tod einen Sinn geben.« Ich kramte jenen Walfischknochen aus der Hosentasche, den Christiansons Witwe nicht angenommen hatte. Sie wollte dieses Utensil ihres Mannes nicht haben, ja nicht einmal etwas davon wissen, da es – wie sie sich ausdrückte – nur Kummer brachte. Doch ich trug den Talisman stets bei mir, er war zu meinem persönlichen Glücksbringer geworden. »Morgen montieren wir die erste Seilwinde. Falls alles klappt, lassen wir übermorgen die Gondel runter.«
    »Wer geht zuerst?« fragte Hansen.
    »Du natürlich.« Ich warf einen Blick in den Fjord. Die Skagerrak war längst außer Sichtweite und hatte sicher schon das offene Meer erreicht.

 
ACHTES KAPITEL
     
     
    E nde März war es soweit. Ich stand auf der Plattform der ersten Gondel – in fünfhundert Metern Tiefe – klammerte mich an das Geländer und starrte in den Abgrund. Die Gondel schwankte bei jeder Bewegung gefährlich hin und her, der Holzboden schlug gegen die Felswand, und die Seile knirschten in den Rollbügeln. Als das Schaukeln nachließ, beugte ich mich vorsichtig über die Brüstung. Bereits nach wenigen Metern schluckte die Dunkelheit das Licht der Petroleumlampen.
    In dieser Schwärze war die letzte Sprosse jener Steigleiter, die Hansen in den Fels geschlagen hatte, nur undeutlich zu erkennen.
    Obwohl der Schacht direkt in den Räumen der

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