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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Dazu kam der faulige Schwefeldunst. Aus dem Nichts war er plötzlich wieder da und hüllte mich in eine grün schillernde Dämmerung. Schlagartig breitete sich eine klirrende Kälte im Schacht aus, die meine Arme und Beine erfaßte. Der Frost fraß sich durch die Wunde am Handballen ins Fleisch und in meine Knochen. Das Gefühl, als würde mein Körper absterben, erfaßte den rechten Arm, die Achsel, das Schulterblatt und den Nacken.
    Je weiter ich emporstieg, desto heller schien das Licht der Petroleumlampe durch die Holzbohlen der Plattform. Dieser Schein war das einzige Ziel, an dem ich mich orientieren konnte. Da spürte ich wieder diese unerklärliche Zugluft an der Wange, die von oben in die Tiefe gezogen wurde. Der Schacht kam einfach nicht zur Ruhe. Mit dem Wind verschwanden der grüne Schein und der Schwefelgestank. Statt dessen ertönte aber dieses seltsame Geräusch, wie weit entferntes Flügelschlägen. Ich sah nach unten. Etwas befand sich in der Dunkelheit. Dieses Ding, das im Licht der Lampe nur düster auszumachen war, kroch die Wand empor. Ich hörte seine schabenden, kratzenden Geräusche.
    »Hansen?«
    Ich erhielt keine Antwort. Mit der freien Hand zog ich den Revolver aus dem Hosenbund und zielte auf die unheimlichen Umrisse, die geduckt die Felswand emporkrochen. Ich schoß. Bestimmt hatte ich das Ding getroffen, denn unmenschliche Laute drangen zu mir empor. Als ich erneut den Abzug spannen wollte, grub sich der Griff der Waffe in meinen verletzten Handballen. Blut lief mir übers Handgelenk und der Revolver entglitt mir. Klimpernd schlug die Waffe gegen die Felswand und verschwand im Dunkel.
    Davon ließ sich das Wesen nicht aufhalten. Es kroch in Schlangenlinien über die Wand, immer weiter rauf. Ich griff mit der verletzten Hand nach der nächsten Sprosse. Eilig kletterte ich nach oben, verlor aber ständig den Halt mit den Socken. Ich geriet in Panik. Wie sollte ich die letzten Meter bis zur Gondel schaffen, wenn meine Nerven verrückt spielten? Als das kratzende Geräusch unter mir zunahm, lugte ich zwischen den Beinen durch. Es war noch immer dort unten, lauerte auf mich und kam langsam näher. Von Panik erfüllt kletterte ich weiter.
    Gerade als ich den Rand der Plattform erreichte und mich hochziehen wollte, fiel mein Blick unter den Gondelboden. Mir gegenüber, direkt unter den Holzbrettern, prangte ein gigantisches Antlitz im Fels. Christiansons Gesicht! Groß und erschreckend. Es war die ganze Zeit über dagewesen – hinter meinem Rücken, als ich zuvor in der Strickleiter gehangen hatte. Der Gesichtsabdruck schimmerte wie ein Kreidegemälde – mystisch, aber ebenso entsetzlich, wie ein überdimensionales Relief in den Fels gebrannt. Die Augen des Schweden starrten mich an. Mir stockte der Atem, da ich eine Bewegung von sich verformenden Gesichtszügen in der Wand zu sehen glaubte. Das Antlitz veränderte sich. Ich bildete mir ein, zunächst Christiansons, Brehms und dann Hansens Gesicht zu sehen. Ein Bild ging ins andere über. Als ich meinte, durch die schwarzen Augenhöhlen die Pein der gequälten Seelen zu erblicken, schloß ich schreiend die Augen, bevor der Wahnsinn nach mir greifen konnte.
    Hastig zog ich mich auf die Plattform und kroch auf allen vieren zum Dieselmotor. Wo sich einst der Griff befunden hatte, drehte ich das Gewinde für die Dieselzufuhr mit bloßen Fingern auf. Danach startete ich den Motor. Das Dröhnen und Tuckern erfüllte meinen Kopf. Sogleich roch ich den verbrannten Treibstoff. Ich legte die Hand auf den Schalter für den Zahnradbetrieb. Laß mich bitte nicht im Stich! Dann kippte ich den Hebel. Während das verkeilte Zahnrad erbärmlich knirschte und sich die Plattform mit einem Ruck nach oben in Bewegung setzte, verschwamm das Licht der Öllampe vor meinen Augen. In der Dunkelheit glaubte ich, eine schwarze Hand über den Rand der Plattform greifen zu sehen. Im nächsten Moment klappte ich ohnmächtig zusammen.

 
FÜNFZEHNTES KAPITEL
     
     
    A ls ich die Lider aufschlug, schmerzte mein Kopf so stark, als hätte mir jemand eine Klinge durch die Augäpfel getrieben. Ich versuchte zu blinzeln. Im Dämmerlicht sah ich die dunkle Holzdecke über mir. Bei jeder Bewegung raschelte es. Ich lag bis zum Hals in eine Decke gehüllt. In einem Bett … in meinem Bett. Ich befand mich auf der Station.
    »Hallo?« Meine Kehle war vollständig ausgetrocknet. »Marit! Gjertsen! Nilsen!«
    Bei dem Versuch, mich aufzurappeln, stieß ich mit dem Ellenbogen ein

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