Das Eulentor
Wasserglas um, das über den Boden kullerte. Da ich den rechten Arm nicht bewegen konnte, mußte ich mich mühsam hochstemmen. Meine Rippen schmerzten bei jedem Atemzug, als sei mein gesamter Brustkorb mit fürchterlichen Quetschungen übersät. Mit der Linken schlug ich die Decke zurück. Ich trug ein dünnes Nachthemd. Erst der Anblick meines Arms ließ mich zurückfahren. Jemand – wahrscheinlich Marit – hatte meinen verletzten Handballen bandagiert. Die Finger waren entsetzlich verkrümmt und die Fingernägel mittlerweile schwarz. Vom Handrücken und Gelenk aufwärts bis zum Ellenbogen hatte die Haut einen aschgrauen Farbton bekommen, ähnlich jenem, den Brehms Gesicht am Sterbebett angenommen hatte. Die feinen Härchen sahen wie verdorrtes Gras aus und knisterten, als ich mit der Handfläche darüber strich. Ich mußte an die Huskies denken, die sich selbst das Fell vom Körper gerissen hatten. Vorsichtig drückte ich den Daumen in meinen Unterarm, doch er war vollständig gefühllos – wie abgestorben. Vielleicht würden die Schmerzen erst später eintreten.
Da waren Schritte im Gang zu hören. Die Tür wurde aufgestoßen. Marit und der alte Gjertsen traten ein. Ihre besorgten Gesichter hellten sich auf, als sie mich aufrecht im Bett sitzen sahen. Doch ich fühlte mich so ausgelaugt, daß ich wieder ins Kissen sank.
»Wie geht es Ihnen?« Marit setzte sich ans Bettende, während Gjertsen im Türrahmen stehen blieb.
»Danke, mir knurrt der Magen.« Ich roch das Stroh und die Ausdünstung der Hunde, die an Marit haftete. Nie hatten Hundekot und das verfilzte Huskyfell besser gerochen als in diesem Augenblick. Irgendwie hatte ich es geschafft, dem Alptraum zu entkommen.
»Wo ist Hansen?« fragte sie.
»Er ist mit der Gondel abgestürzt.«
Sie warf Gjertsen einen betroffenen Blick zu, als habe sie genau das befürchtet.
»Welchen Tag haben wir?« flüsterte ich.
»Es ist fast Mitternacht. Sie haben vierundzwanzig Stunden geschlafen. Morgen legt das Schiff an.«
»Vierundzwanzig Stunden?« Ich fuhr vom Bett hoch. Plötzlich mußte ich an jenes Ding denken, das aus der Tiefe an der Felswand nach oben gekrochen war.
»Wir müssen die Gondel zerstören und in den Schacht werfen, und anschließend die Öffnung verbarrikadieren«, keuchte ich.
»Das geht nicht.« Marit räusperte sich. »Bis gestern abend haben wir auf Ihre Rückkehr gewartet. Dann hörten wir endlich das Tuckern der Gondel. Der Dieselmotor war in Betrieb. Durch die Pumpe wurde der Treibstoff automatisch aus dem zweiten Faß angesaugt, bis es leer war, dann starb der Motor ab. Die Gondel steht noch im Schacht … in dreihundertfünfzig Metern Tiefe.«
Ich starrte Marit an. »Wie habt ihr mich raufgeholt?«
»Nilsen ist mit einer Lampe und dem Seil einer alten Winde über die Steigleiter hinuntergeklettert. Er hat Sie am Tau festgezurrt, und wir haben Sie hochgezogen.« Marit verstummte.
Das erklärte meine Schmerzen an den Rippen. Letztendlich hatte mir Hansens in den Fels geschlagene Steigleiter das Leben gerettet. Eigentlich wollte ich ihn retten, doch nun war es umgekehrt gekommen. Aber natürlich hatte ich mein Leben auch dem großen, hünenhaften Nilsen zu verdanken. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Wie hatte ich mich doch in dem Norweger getäuscht und ihn wegen seiner Mutproben und gefährlichen Wetten, die ihn bereits drei Fingerglieder gekostet hatten, verurteilt. Doch jetzt hatte der Erdfahrer sein eigenes Leben riskiert, um ein anderes zu retten. Ich selbst hatte bei Hansen kläglich versagt.
»Wo ist Nilsen?« fragte ich, bekam jedoch keine Antwort, sondern starrte in zwei betretene Gesichter.
Nun meldete sich auch Gjertsen zu Wort. »Nachdem wir Sie hochgezogen haben, riefen wir Nilsen zu, er solle unten bleiben, damit wir auch ihn raufziehen konnten. Doch er verlangte, daß wir uns zuerst um Sie kümmern. In der Zwischenzeit wollte er über die Steigleiter hinaufklettern. Nach etwa einer halben Stunde sahen wir ihn. Er befand sich ungefähr fünfzig Meter unter uns. Da brach eine lockere Eisenstrebe aus der Wand. Nilsen verlor den Halt und stürzte ab.«
»Aber die Gondel«, preßte ich hervor. »Er muß auf die Gondel gefallen sein.«
Gjertsen schüttelte den Kopf. »Wir hörten, wie sein Körper durch die Bretter schlug. Wir ließen eine Petroleumlampe am Seil hinunter. Dort unten war nichts mehr … nur noch ein gähnendes Loch.«
Ich starrte ins Leere. Nach einer Weile sah ich, wie Marit ihrem Kollegen einen
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