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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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bösen Blick zuwarf.
    »Wir hätten es ihm nicht sagen sollen«, zischte sie auf Norwegisch.
    »Es ist in Ordnung …« Ich sah weiterhin ins Leere.
    War es das wirklich? Nun war Nilsen seinem Bruder in den Tod gefolgt. War es das wert gewesen? Ein weiteres Menschenleben lastete auf meinem Gewissen. Ich versuchte erfolglos, die Finger der rechten Hand zur Faust zu ballen, aber sie fühlten sich tot und leer an – wie meine Seele. Wenn morgen das Schiff anlegte, würde Kapitän Anderson den erbärmlichen Rest einer verstörten Mannschaft antreffen. Der alte Gjertsen, Marit und ich waren die einzigen Überlebenden dieser einst so großen Forschungsstation. Was für eine traurige Bilanz. Doch noch hatten wir es nicht überstanden. Mir wollte das unbeschreibliche Wesen nicht aus dem Kopf, das ich im Schacht gesehen hatte.
    Gjertsen lehnte dürr wie ein Gerippe im Türrahmen und steckte sich eine selbstgedrehte Zigarette in den zahnlosen Mund. Marit stand auf. Sie hob das Glas vom Boden auf und stellte es neben den Wasserkrug auf die Kommode. Danach legte sie mir die Hand auf die Schulter. »Schlafen Sie jetzt, und werden Sie gesund. Morgen wird ein anstrengender Tag.«
    An Schlaf war nicht zu denken. Gjertsen mußte es an meinem Blick erraten haben, denn er sah mich eindringlich an. »Sie sagten, wir müßten den Schacht schließen.«
    »Wir müssen die Öffnung mit Brettern verbarrikadieren …«
    »Zunageln?«
    Ich starrte in die Glut seiner Zigarette. Da kam mir eine bessere Idee. »Wo ist das Dynamit?«
    »Welches Dynamit?« fragte Marit.
    Ich erinnerte mich an Hansens Worte. »Das Dynamit, das Brehm in den Schacht geworfen hat.«
    »Marit weiß nichts von diesem Experiment.« Gjertsen nahm die Zigarette aus dem Mund. »Sie ist erst danach auf die Insel gekommen.«
    »Wir haben Dynamit in der Station?« entfuhr es Marit.
    Gjertsen spuckte den Tabak auf den Boden. »Die Stangen lagern in der Werkstatt.«
    Ich richtete mich vollends auf. »Uns bleibt nicht viel Zeit. Gjertsen, Sie holen die Stangen. Wir verminen den Eingang zum Schacht mit allem, was wir haben, und legen eine Lunte, die mindestens fünf Minuten lang brennt. Danach packen wir die notwendigsten Sachen. Im Morgengrauen zünden wir das Dynamit und verlassen die Station. Wir müssen den Schacht so rasch wie möglich verschließen.«
    Marit sah mich entsetzt an. »Und danach?«
    »In der Bucht steht eine Hütte neben dem Steg. Dort warten wir auf Kapitän Andersons Schiff.«
    »Wozu die Eile?«
    »Als ich unten war, habe ich etwas gesehen, und ich möchte nicht, daß es heraufkommt.« Mehr wollte ich nicht sagen, da sie sonst an meinem Geisteszustand zu zweifeln beginnen würden.
    »Die Schattenwellen?« fragte Gjertsen.
    »Ich weiß es nicht.« Um weitere Fragen abzublocken, zählte ich ihnen noch einmal auf, was bis zum Morgengrauen alles erledigt werden mußte. Anschließend drängte ich sie aus der Kabine.
    Nachdem ich mich angekleidet hatte, trat ich in den Gang. Mittlerweile hatte eine dichte Wolkenbank die Mitternachtssonne verdunkelt. In der Station war es so finster, als herrsche tiefste Nacht. Da wir keine Dieselvorräte mehr besaßen, um den Generator zu betreiben, hatten wir keinen Strom. Die Lampen waren genauso nutzlos geworden wie ein Ofen ohne Holz. Allerdings standen im Gang zahlreiche Petroleumlampen, die Marit und Gjertsen wohl angezündet haben mußten, und die unsere Station in einen unheimlichen Ort aus flackernden Lichtern verwandelten.
    Obwohl meine Rippen schmerzten, lief ich so rasch ich konnte in die Vorratskammer. Ich verstaute Lebensmittel für mehrere Tage in einem Rucksack, falls sich die Skagerrak verspäten würde und wir länger als geplant in der Hütte am Steg ausharren mußten. Bald waren die Seitentaschen des Rucksacks zum Bersten mit Kondensmilch, Fleischextrakt, Dörräpfeln, Schiffszwieback, geräucherten Heringen sowie einigen Maisbüchsen gefüllt. Zwischen die letzten Dosen quetschte ich noch mein Tagebuch hinein. Da ich die Station mit den Huskies und einem Schlitten verlassen wollte, durften wir auch den Hundekuchen nicht vergessen. Erst als ich den Rucksack zur Eingangstür schleppte, hörte ich draußen Gjertsens verzweifelten Ruf.
    »Berger! Um Himmels willen, Berger!«
    Ich griff nach meiner Jacke und stürzte ins Freie. Draußen hatte es nur wenige Minusgrade. Es war windstill, und eine sonderbare Dunkelheit lag über der Station. Die Tür zur Werkstatt stand offen. Durch das Fenster des angrenzenden

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