Das Evangelium nach Satan
seinen Hals spürt. Eine brennende Flüssigkeit breitet sich in seinem Körper aus. Er verzieht das Gesicht und schon, verschwimmt das Gesicht des Arztes vor Mankels Augen.
8
In seinem Zimmer in der Casa Santa Martha klappt der Kardinal Camerlengo Campini geräuschlos sein Mobiltelefon zu. Er lauscht angespannt. Stille. In diesem nahe der Sixtinischen Kapelle gelegenen Haus, einer Stätte des Gebets und der inneren Sammlung, in dem niemand je die Stimme erhebt, verbringen die Kardinäle die Pausen zwischen zwei Wahlgängen.
Campini hat soeben gegen die geheiligten Gesetze der Kirche verstoßen, nach denen keiner der an einer Papstwahl Beteiligten mit der Außenwelt in Verbindung treten darf. Im Konklave sind weder Zeitungen noch Radio oder Fernsehen erlaubt. Auch sonstige Mitteilungen oder Botschaften dürfen nicht mit der Außenwelt ausgetauscht werden, ganz gleich, wie lange der Wahlvorgang dauert.
Es gehört zu den Aufgaben des Camerlengo, die Einhaltung dieser Vorschriften auf das Strengste zu überwachen. Umso größer ist die Gefahr, der er sich mit der Benutzung seines Mobiltelefons ausgesetzt hat. Doch da es die Notwendigkeit festzustellen, ob womöglich ein falscher Kardinal Giovanni in der Leichenkammer der Gemelli-Klinik liegt, seiner Ansicht nach rechtfertigt, diese Gefahr auf sich zu nehmen, hat er die Pause nach dem ersten Wahlgang genutzt, sein Zimmer in der Casa Santa Martha aufzusuchen, um dort auf Monsignore Mankels Anruf zu warten.
Den Auftrag, genauestens zu prüfen, ob die Gegenseite etwas im Schilde führte, hatte er ganz bewusst diesem Mitglied der Glaubenskongregation erteilt, denn Lügen und Täuschungen aufzudecken verstand niemand besser als Mankel. Die Unterhaltung Mendozas mit dem Kommandanten der Schweizergarde auf dem Vorplatz der Basilika hatte Campinis Misstrauen erregt. Welche finsteren Pläne mochte der Kardinal Staatssekretär verfolgen? Da Campini den alten Kardinal unauffällig überwachen ließ, wusste er, dass sich dieser in seiner Villa in der Nähe Roms befand, die er lediglich zu einem Abendessen in der Stadt verlassen hatte.
Der Tote in der Gemelli-Klinik war also tatsächlich Giovanni. Mit dieser Gewissheit war eine weitere Schwierigkeit aus der Welt geschafft. Aber wieso nur hatte Mankels Stimme so seltsam geklungen? Er hätte ihm gern noch weitere Fragen gestellt, durfte es aber nicht riskieren, dass ihn jemand hörte, obwohl er im Halbdunkel seines Zimmers geflüstert hatte wie ein Seminarist, der etwas Verbotenes tut. Nein, da stimmte etwas nicht. Mankel Stimme schien … Er schien Angst gehabt zu haben. Ja, das war es.
Campini versucht sich Gründe dafür zurechtzulegen. Der Anblick von Giovannis Leiche hatte dem Mann zugesetzt. Dennoch … Jetzt wägt der Camerlengo das Für und das Wider ab. Soll er es darauf ankommen lassen und Mankel noch einmal anrufen, um sich Gewissheit zu verschaffen? Ihm ist bewusst, was für ein hohes Risiko er damit eingehen würde. Sollte jemand entdecken, dass er während des Konklaves telefoniert, würde man ihn sofort davon ausschließen und exkommunizieren, Kardinal Camerlengo hin oder her. Über die drohende Exkommunikation kann er nur lachen, aber der Ausschluss vom Konklave wäre bitter, weil damit das gesamte Wahlgremium aufgelöst und zu einem späteren Zeitpunkt ein neues Konklave einberufen würde. Das darf auf keinen Fall geschehen.
Das Bedürfnis, sich Gewissheit zu verschaffen, ist so groß, dass seine Finger ganz von selbst anfangen, mit dem Telefon zu spielen. Ohne es zu merken, hat er bereits die ersten Ziffern von Mankels Nummer eingegeben. Gerade, als er den Ruf absenden will, erschrickt er: Jemand geht durch den Gang und klopft dreimal an die Türen. Der nächste Wahlgang soll gleich beginnen. Campini klappt sein Telefon zu. Die Schritte entfernen sich. Mit zitternden Fingern wickelt er das Telefon in ein Tuch, legt es auf den Boden und tritt mehrfach mit dem Absatz darauf. Dann nimmt er das Tuch samt Inhalt vom Boden auf und steckt es in seinen Koffer, wo niemand nachsehen wird.
Schon im nächsten Augenblick bereut er seine Handlungsweise. Jetzt hat er keine Möglichkeit mehr, mit seinen Vertrauensmännern in Verbindung zu treten und sie aus dem Inneren des Vatikans heraus zu lenken. Aber vielleicht ist das auch nicht besonders wichtig: Wahrscheinlich wird das Konklave nicht lange dauern.
9
Es tagt. Außer dem Geräusch von Kardinal Giovannis und Hauptmann Cerentinos Schritten stört nichts die Stille der
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