Das Evangelium nach Satan
nicht, dass es dafür bestimmte Uhrzeiten gibt.«
»Wie heißt er?«
»Habe ich das nicht schon gesagt?«
»Daran würde ich mich erinnern.«
Schweigen. Der Inquisitor blickt den Arzt so durchdringend an, als wolle er ihm bis auf den Grund der Seele sehen.
Seine plumpe Falle ist nicht zugeschnappt, das scheint ihn zu ärgern.
»Ich bin gekommen, um mir die sterblichen Hülle seiner Eminenz, des Kardinals Patrizio Giovanni, anzusehen.«
»Darf ich wissen, warum?«
»Um mich zu vergewissern, dass es sich tatsächlich um ihn handelt, bevor wir die Überführung an seinen Heimatort in den Abruzzen veranlassen.«
Wieder eine plumpe Falle. Giovanni stammt aus Germagnano in den Apenninen. Das ist dem Protonotar selbstverständlich bekannt. Er will feststellen, ob es auch der Arzt weiß. Es wäre nicht unbedingt ein Beweis, würde aber Verdachtsgründe liefern. So also arbeiten die Inquisitoren. Sie werfen ein Netz aus und holen es ein, um festzustellen, ob sich ein Fisch darin gefangen hat. Der Prälat nimmt an, dass der Arzt lügt. Dieser wird in den folgenden Minuten alles tun müssen, um zu verhindern, dass dem Inquisitor diese Vermutung zur Gewissheit wird.
»Ist Ihnen warm?«, erkundigt sich der Geistliche.
»Bitte?«
»Sie schwitzen.«
Der Arzt sieht, wie sich der Blick des Prälaten auf seine Stirn richtet, auf der sich Schweißperlen bilden. Er wischt sie mit der Handfläche ab. Wieder ein Verdachtsmoment.
»Ich habe eine vierstündige Operation hinter mir und bin ziemlich erschöpft.«
»Ich verstehe.«
Wieder Schweigen. Diese vier Stunden hat der Arzt gebraucht, um den Leichnam des im Wagen des Kardinals umgekommenen Bischofs herzurichten. Bei der Ankunft im Krankenhaus war sein Gesicht nichts als ein Brei und der Körper völlig verstümmelt. Da Gardano und Giovanni ungefähr gleichaltrig sind und eine ähnliche Statur haben, hatte der Arzt dem Kardinal Mendoza am Telefon seinen Einfall unterbreitet, und der alte Staatssekretär des Vatikans hatte zugestimmt. Daraufhin hatte Mendoza Kardinal Giovanni in eine Trattoria gebeten, um zu erreichen, dass dieser sich bereit erklärte, die von Valdez hinterlegten Unterlagen aus der Bank in La Valletta zu holen. Eine Stunde später hatte Kardinal Mendoza dem Arzt telefonisch Giovannis Einverständnis mitgeteilt, woraufhin dieser mithilfe von Giovannis Patientenakte vier Stunden damit zugebracht hatte, am Leichnam des Bischofs Veränderungen vorzunehmen, die den Eindruck erwecken sollen, dass es sich um Giovanni handelt: Muttermale und, in dem, was vom Mund übrig war, zwei Kronen, zwei Zähne aus Keramik und einer aus Gold.
»Können wir gehen?«
Der Arzt knirscht innerlich mit den Zähnen. Die Frage, die ihm der Inquisitor da gestellt hat, ist unüberhörbar ein Befehl.
6
Der Wahlgang beginnt. Jedem Stimmberechtigten hat man drei rechteckige Blätter mit dem Aufdruck Eligo in summum pontificem ausgehändigt. Diesen lateinischen Worten, die in etwa »ich wähle in das höchste Amt unserer Kirche« bedeuten, folgt ein punktierter Leerraum für den Nachnamen des zu wählenden Kardinals. Camano sieht, dass alle schreiben. In Erwartung des zweiten Wahlgangs, vermutet er, wird wohl jeder in deutlich lesbaren Buchstaben den eigenen Namen eingesetzt haben, auch wenn ihm bewusst ist, dass manche ihm zutrauen, er könne einen Ausweg aus der Krise finden, von der die Kirche erschüttert wird. Immerhin gehört Camano zu denen, die über viele erstklassige Verbindungen verfügen, und überdies ist er einer der mächtigsten Prälaten im Vatikan, unterstehen ihm doch die Legion Christi und die Wunder-Kongregation. Da er außerdem das Vertrauen und die Zuneigung des verstorbenen Papstes besaß, müsste eigentlich nach Kardinal Centenarios Tod die Mehrzahl der Stimmen im ersten Wahlgang auf ihn entfallen. Damit könnte er möglicherweise den Kandidaten des Schwarzen Rauchs im zweiten Wahlgang aus dem Rennen werfen, vorausgesetzt, dass sich genug Kardinäle für ihn entscheiden. Sollten sie aber nahezu alle einen der ominösen Umschläge bekommen haben, hätte der Schwarze Rauch von Anfang an gewonnenes Spiel. Doch ist es überhaupt möglich, in einer einzigen Nacht die Angehörigen von über hundert Familien als Geiseln zu nehmen? Das fragen sich mehrere Kardinäle und sehen zu Camano hin. Sie wissen nicht, dass auch er einen solchen Umschlag bekommen hat.
Da die Wahlempfehlung des Schwarzen Rauchs erst im zweiten Wahlgang bekannt werden soll, stimmt Camano für sich
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