Das Evangelium nach Satan
selbst. Dann faltet er seinen Stimmzettel in der Mitte zusammen und legt ihn vor sich hin, bis er an der Reihe ist, ihn in die Urne zu stecken.
Inzwischen haben alle Kardinäle ihren Stift hingelegt und ihren Stimmzettel zusammengefaltet. Einer nach dem anderen werden sie jetzt zur Urne gehen und dann an ihren Platz zurückkehren. Camano ist der Letzte. Als er an der Reihe ist, erhebt er sich und geht bedächtigen Schritts und mit erhobenem Arm zum Altar, damit jeder sehen kann, dass er nur einen einzigen Stimmzettel in der Hand hält. Am Altar angekommen, vor dem sich die Stimmenauszähler aufhalten, spricht er laut und vernehmlich den letzten der vorgeschriebenen Eide: »Ich, Kardinal Oscar Camano, rufe Christus zum Zeugen dafür an, dass ich meine Stimme dem gebe, den ich als zu Wählenden erachte.«
Dann tritt er an den Altar. Als Urne dient ein großer Kelch, den eine Patene bedeckt. Er legt seinen Stimmzettel darauf und neigt sie langsam, worauf das Blatt in den Kelch gleitet. Dann geht er einige Schritte rückwärts und verneigt sich vor dem Altar.
Als er wieder an seinem Platz ist, hebt der erste Stimmenauszähler den Kelch und schüttelt ihn kräftig, um seinen Inhalt zu mischen. Dann zieht der dritte Auszähler einen Zettel nach dem anderen heraus und legt alle nacheinander in ein durchsichtiges Gefäß. Dabei zählt er laut mit, damit gewährleistet ist, dass niemand mehr als eine Stimme abgegeben hat. Als sich alle hundertachtzehn Stimmzettel in dem Gefäß befinden, wird es zu einem Tisch vor dem Altar getragen, an dem die Auszähler Platz nehmen.
Der erste nimmt den ersten Stimmzettel heraus, entfaltet ihn und liest ihn stumm. Dann gibt er ihn dem zweiten, der den darauf genannten Namen laut vorliest, bevor er ihn dem dritten und letzten weiterreicht, der schweigend kontrolliert, ob der vorgelesene Namen und der auf dem Stimmzettel identisch sind. Anschließend spießt er den Stimmzettel auf eine Nadel, an der ein Faden hängt. Zum Schluss wird die ganze Stimmzettel-Girlande im Kamin der Kapelle verbrannt, bis nur noch Asche übrig ist.
Die Auszählung geht weiter. Das Ergebnis von elf Stimmzetteln ist vorgelesen worden. Sechs trugen unterschiedliche Namen, zwei den des Kardinals Camano, und drei den des Camerlengos Campini. Auf ihn richten sich jetzt alle Blicke.
7
Von Monsignore Mankel dicht gefolgt, geht der Arzt schweigend durch die verlassen daliegenden Korridore der Klinik. Eine Treppe führt zur Leichenkammer. Unten angekommen stößt er eine zweiflüglige Schwingtür auf, die sich von selbst hinter dem Inquisitor schließt. Dann durchqueren sie mehrere Räume, in deren Kühlfächern Leichen auf die Autopsie warten. Man hört das Brummen der Kühlaggregate.
Im letzten Raum liegt in einer Hülle aus Gummigewebe ein Leichnam auf einem Operationstisch. Ein Mann wischt den Fußboden. Der Inquisitor beachtet ihn nicht. Er bedeutet dem Arzt mit einer Handbewegung, er möge die Hülle öffnen. Beim Anblick der übel zugerichteten Leiche verzieht er keine Miene.
»Ist das alles?«
»Ja. Immerhin ist Kardinal Giovanni mit hundertvierzig Stundenkilometern auf einen Dreißigtonner geprallt. Gleich darauf hat ein Lieferwagen, der mit derselben Geschwindigkeit wie er dicht hinter ihm fuhr, seinen Wagen gerammt. Da bleibt nicht viel übrig.«
»Und haben Sie die Leiche anhand der Zähne zu identifizieren versucht?«
»Wozu? Wer sollte es sonst sein? Es war Kardinal Giovannis Auto.«
»Er konnte es jemandem geliehen haben.«
»Wäre er dann nicht im Konklave?«
»Genau das ist der springende Punkt.«
Monsignore Mankel entnimmt einen dicken Ordner, den er aus seiner Aktentasche geholt hat, mehrere Fotos des Kardinals. Gut – er scheint den Mann nicht persönlich zu kennen, auch wenn er ihm das eine oder andere Mal im Vatikan begegnet sein mag. Das ist einer der Gründe, warum sich Kardinal Mendoza für Giovanni entschieden hatte: Er wurde erst vor recht kurzer Zeit zum Kardinal ernannt, und so kennen ihn nur wenige der Prälaten in Rom näher. Da das Gesicht des Bischofs beim Unfall nahezu vollständig zerstört worden ist, werden die Fotos, die der Inquisitor in der Hand hält, ihm nicht viel nützen.
»Haben Sie der Leiche eine Blutprobe entnommen?«
Tief in Gedanken versunken, fährt der Arzt leicht zusammen.
»Wie bitte?«
»Ich habe Sie gefragt, ob Sie eine Blutprobe entnommen haben.«
»Das ist bei Verkehrsunfällen Vorschrift, wegen des eventuellen Nachweises von
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