Das Evangelium nach Satan
Lächeln. »Genau das ist der springende Punkt, Eminenz. Eben deshalb glaubt niemand wirklich an die Existenz von Novus Ordo.«
»Und weiter?«
»Eine Hierarchiestufe weiter oben haben wir Geheimgesellschaften, deren Aufgabe es ist, die Elite auszuwählen und zu rekrutieren. Das sind beispielsweise der Bettany-Zirkel, der Goliath-Klub und die Andromeda-Jünger. Dieser esoterische Zweig von Novus Ordo beschäftigt sich mit Satanismus, Okkultismus und Mystizismus. Zweifellos ist es auch der gefährlichste, zumindest aber der fanatischste.«
»Und weiter?«
»Noch weiter oben gibt es die sogenannten Wächter, Späher und Hüter. Sie bilden den dritten Kreis um die eigentlichen Gehirne von Novus Ordo. Sie verwischen die Spuren und kümmern sich um die Kommunikation zwischen dem Netz und der Außenwelt, oder besser gesagt, sie behindern alles, was zu einer solchen Kommunikation führen könnte. Sie leiten die Medien in die Irre, verbreiten Gerüchte, erfinden Legenden und bringen Falschmeldungen in Umlauf. Mit solchen Nebelwänden sorgen sie dafür, dass niemand dahinterkommt, wer zum obersten Kreis gehört. Den von Valdez zusammengestellten Organigrammen zufolge haben allein die Hüter mittelbar achtzig Prozent der Radio-und Fernsehsender sowie der wichtigen Zeitungen auf der ganzen Welt in der Hand.«
Kardinal Giovanni wischt sich über die Stirn.
»Dann sind da noch die Kardinäle des Schwarzen Rauchs. Dieser zweite Kreis beherrscht die internationalen Sekten, die Alternativkirchen in Südamerika und Asien, die Satanisten-Organisationen wie auch Neonazi-Gruppierungen auf der ganzen Welt. Es ist das Neue Reich, das Chaos, das Netz Armageddon. Sie sehen ihre Aufgabe darin, die Religionen zu destabilisieren, zu unterwandern und ähnlich wie Krebszellen zur Bildung von Metastasen zu veranlassen. Unmittelbar über ihnen haben wir die Gehirne von Novus Ordo, zu denen mit Sicherheit auch der Großmeister des Schwarzen Rauchs gehört. Man nimmt an, dass es sich dabei um höchstens rund vierzig Personen handelt, die einmal alle sechs Jahre unter größter Geheimhaltung zusammenkommen, um über die Gesamtstrategie des Netzes zu befinden. Über sie weiß man nichts. Nicht einmal Valdez hat je mehr als Gerüchte über sie gehört, und er ist des Öfteren ergebnislos Fährten gefolgt, die sich letztlich als falsch herausgestellt haben.«
»Und warum zum Teufel wollen diese Leute die Kirche zugrunde richten?«
»Weil sie damit das Gleichgewicht auf der ganzen Welt erschüttern können. Bisher hat Novus Ordo stets seinen Gewinn aus dem Chaos gezogen.«
21
Valentina hatte den Rest der Nacht damit zugebracht, in der namenlosen Menge der Gläubigen, auf deren hohlwangigen und gequälten Gesichtern sich der Regen mit den Tränen vermischte, nach Pater Carzo zu suchen.
Bei Morgengrauen waren die Gesänge verstummt. Jetzt regt sich in der Menge nichts mehr. Kein einziger Vogel ist am Himmel zu sehen. Valentina drückt auf den Empfangsknopf ihres Funkgeräts. Irgendwo inmitten der Menschenmenge teilt ihr einer von Crossmans Leuten mit, was er zu berichten hat. Sie empfängt ihn über ihren Ohrhörer, dreht sich um und entdeckt ihn über einen Wald von Regenumhängen hinweg. Er lehnt an einem Pfeiler. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, schaltet sie auf Senden und teilt ihm mit, bei ihr habe sich noch nichts Neues ergeben.
Als die Glocken der Basilika zu schwingen beginnen, entquillt dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle mit einem Mal dichter weißer Rauch, der sogleich am Himmel über Rom zerfasert. Die Menschen auf dem Platz brechen in betäubenden Jubel aus. Tausende von Armen weisen auf die Balkontür, die sich geöffnet hat. Dann wird es mit einem Schlag still, während der Kardinal Camerlengo über die Lautsprecheranlage verkündet, dass die Kirche einen neuen Papst habe.
»Annuntio vobis gaudium magnum! Habemus Papam!«
Er lässt eine kurze Pause eintreten, in der das Echo dieses ersten Satzes über den Platz hallt. Dann wird seine Stimme erneut hörbar. Er nennt auf Latein den bürgerlichen Namen des neuen Oberhaupts der Kirche wie auch den Papstnamen, für den sich der Mann entschieden hat, der jetzt langsam aus dem Halbdunkel tritt.
»Eminentissimum ac reverendissimum Dominum, Dominum Oscar Sanctae Romanae Ecclesiae Cardinalem Camano, qui sibi nomen imposuit Petrus Secundus!«
Petrus Secundus. Petrus II. Diese Namenswahl ist ein unerhörter Frevel, mit dem der Neugewählte das Andenken des ersten Papstes der
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