Das Evangelium nach Satan
denen er vorüberkommt, werden vorsichtig geöffnet. Ein Greis sieht ihn von der Schwelle seines Hauses an. Giovanni verharrt mitten in der Bewegung. Aus einem Torbogen kommt ein Mann im dunklen Anzug und mit getönten Brillengläsern auf ihn zu. Er entnimmt der Tasche seines Jacketts ein ledernes Etui, klappt es auf und hält es dem Kardinal hin. Er ist vom FBI.
»Special agent Dannunzo, Eminenz. Gehen Sie geradeaus weiter. Stuart Crossman erwartet Sie.«
Giovanni dreht sich um und sieht aufmerksam hinter sich.
»Seien Sie unbesorgt. An mir kommt niemand vorbei. Gehen Sie jetzt weiter. Jede Sekunde ist kostbar.«
Giovanni wendet sich zum Gehen. Nachdem er einige Schritte getan hat, sieht er sich erneut um. Dannunzo ist wieder in den Schatten des Torbogens getreten. Giovanni setzt seinen Weg fort und bemüht sich bewusst, nicht zu rennen. Ein weiterer Mann, der Dannunzo zum Verwechseln ähnlich sieht, weist auf eine Treppe, die zum Hafen führt. Er geht hinunter. Unten ist die Luft frischer. Dort stehen auf einem von Linden gesäumten Platz um einen Brunnen herum eiserne Stühle und Tische. An einem von ihnen sitzt ein elegant gekleideter Herr mit auffällig bleichem Gesicht. Der Kardinal tritt auf ihn zu.
»Mister Crossman?«
Der Angesprochene hebt den Kopf und sieht ihn durch seine runden Brillengläser mit durchdringendem Blick an.
»Ich habe Sie erwartet, Eminenz.«
19
Längst hat der Schnellzug von Trient nach Rom die Toskana hinter sich gelassen. Im Morgengrauen steht Carzo im Gang und sieht hinaus. Bald wird er das Ziel seiner Reise erreicht haben. Im Kampf gegen Kaleb hatte er sich an die Erinnerungen geklammert, die ihn mit Maria verbanden: an den in den Ruinen des Wehrklosters Maccagno Superiore getauschten Kuss, an den Geruch ihrer Haut und an die Hände, mit denen sie die seinen umschlossen hatte, als sie einander im Staub der Kapelle geliebt hatten.
Während sich der Zugriff des Seelenräubers nach und nach lockerte, hatte Carzo gespürt, wie erneut ein wenig Wärme in seinen Körper strömte. Sein Blut hatte wieder angefangen, durch die Adern zu kreisen, und sein Herz wieder zu schlagen begonnen. Erneut empfand er Schmerz und Kummer. In jenem Augenblick war die Verbindung zu der in ihrer Nische eingemauerten Maria abgerissen. Maria, deren Lebenslicht gewiss zusammen mit dem der Kerze erloschen war.
In Florenz hatte der Zug einige Minuten Aufenthalt. Carzo hatte vor der offenen Tür gezögert. Sollte er den nächsten Zug in der Gegenrichtung nehmen und versuchen, Maria zu retten, oder nach Rom weiterfahren, um dem Konklave Einhalt zu gebieten, bevor es zu spät war? Er hatte den Druck des Evangeliums unter seinem Arm gespürt und die Augen geschlossen, während der Pfiff zur Abfahrt ertönte und der Schaffner laut knallend die Tür zuschlug. Damit war die Sache entschieden. Seither hatte er zum Fenster hinaus auf die vorüberziehende Landschaft gesehen.
Rom. Das Ende des Weges. Der Zug verlangsamt die Fahrt. Nachdenklich wiegt Carzo die Pistole Marias in der Hand, die er aus der Tasche seiner Kutte genommen hat. Eine Glock 9 mm mit Griffschalen aus Keramik. Wie er es bei der jungen Frau gesehen hat, lädt er sie durch, prüft, ob sie gesichert ist, und steckt sie wieder ein. Er ist bereit.
Mit kreischenden Bremsen bleibt der Zug im Bahnhof Termini stehen. Carzo öffnet die Tür und atmet die linde Luft ein, die in den Wagen dringt. Es riecht nach Regen.
Ingwerduft streicht über sein Gesicht, während er aussteigt und in der Menge der anderen Reisenden verschwindet: So riecht Marias Haut.
20
Unauffällig umstellen FBI-Leute den von der Sonne beschienenen kleinen Platz, auf dem Crossman und Giovanni sitzen. Der Brunnen plätschert. Vögel zwitschern in den Linden, Grillen zirpen in den Thymianbüschen. Crossman sieht sich auf einem Notebook das Inhaltsverzeichnis der von Valdez erstellten DVD an.
»Keine Sorge, Eminenz. Hier geschieht Ihnen nichts.«
»Vergessen Sie die Barbi nicht!«
»Was ist mit denen?«
»Das ist eine äußerst mächtige Familie. Auf der Suche nach denen, die den alten Giancarlo getötet haben, werden sie die Insel von einem Ende zum anderen durchkämmen.«
»Es gibt keinen Grund, diese Leute zu überschätzen. Die Leute sind in erster Linie Bankiers, auch wenn sie mit bestimmten Zweigen der Mafia Abkommen getroffen haben. Die bloße Tatsache, dass die Cosa Nostra und deren maltesischer Ableger Ihnen geholfen haben, die Unterlagen Ihres Kollegen an sich zu
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