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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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bestreicht, bevor er sich über den geöffneten Brustkorb beugt. Er wirft einen ungläubigen Blick zu Maria hinüber, die jede Bewegung angespannt verfolgt, und sagt mit nicht mehr ganz so sicherer Stimme: »An dieser Stelle übernimmt der Pathologe Mancuzo die weitere Untersuchung. Die Zersetzung der Organe ist weit fortgeschritten. Vor allem bei den Eingeweiden ist eine beschleunigte Zersetzung zu beobachten. Was die Epidermis angeht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Zellen bei Berührung mit Sauerstoff absterben. Eine Sichtprüfung zeigt, dass die Haut erschlafft und vertrocknet ist. Außerdem fällt beträchtlicher Haarwuchs und ein abnormes Wachsen der Nägel auf. Das Gesamtbild lässt an den Prozess der Mumifizierung denken, wie er sich bei Leichen findet, die in einer trockenen, warmen Umgebung nicht verwesen: Auf einen raschen Abbau des weichen Körpergewebes folgt eine Verflüchtigung der Körperflüssigkeiten und ein Austrocknen aller Organe. Wenn ich den Todeszeitpunkt dieser Leiche ausschließlich anhand des inneren Zerfalls bestimmen müsste, würde ich sagen, dass wir es mit einem Mann zu tun haben, der vor … mehr als sechs Monaten gestorben ist.«
    Bei diesen Worten wird Maria von Schwindel erfasst. Bannerman, der neben ihr steht, verdreht die Augen wie jemand, dem übel wird.
    Während Mancuzo die Säge säubert und in ihr Futteral zurücklegt, setzt Stanton zwei Spreizzangen in Kalebs Brustkorb ein, dann überlässt er seinen Platz Mancuzo, der die Lunge herausholt und vorsichtig die Lungenlappen abtrennt. Erneut spricht er ins Mikrofon: »Sichtprüfung der Atmungsorgane. Sie sind besonders stark zersetzt. Alles weist auf eine chronische Atemnot hin, ein Befund, den auch das Röntgenbild bestätigt. Zweifellos hat die untersuchte Person an Asthma gelitten. Auffällig ist die vollständige Abwesenheit von Feinstaub und Teerpartikeln, wie sie in Heizungs-, Industrie-und Fahrzeugabgasen enthalten sind. Auch das wird durch die Röntgenbilder bestätigt. Man sieht deutlich, dass der Mann weder selbst je geraucht hat noch Tabakrauch ausgesetzt war. Andererseits fallen stark karbonisierte Ablagerungen sowie solche von Ruß auf. Das könnte bedeuten, dass er über viele Jahre hinweg den Rauch von Holzfeuern eingeatmet hat. Solche Merkmale finden sich gegenwärtig höchstens noch bei isoliert lebenden Stämmen von Ureinwohnern auf Borneo, in Amazonien und anderen abgelegenen Winkeln der Erde, in denen Holz der einzige Brennstoff ist. Also handelt es sich bei der untersuchten Person mit hoher Wahrscheinlichkeit um irgendeine Art von Ureinwohner. Diese Hypothese bestätigen zahlreiche Narben im Lungengewebe, die zweifellos auf unbehandelte Erkrankungen zurückgehen. Es sieht ganz so aus, als sei er zu keinem Zeitpunkt seines Lebens mit der neuzeitlichen Medizin in Berührung gekommen. Die Theorie, dass es sich um einen Vagabunden handeln könnte, ist also zu verwerfen, da niemand als Vagabund zur Welt kommt.«
    Dann tritt Mancuzo zu Stanton, der dabei ist, Kalebs rechtes Auge aufzuschneiden. Es wird Maria übel, als sie sieht, wie der Augapfel dabei in sich zusammensinkt. Stanton entnimmt ein Stück Hornhaut und legt es unter das Mikroskop. Nachdem er es auf maximale Vergrößerung eingestellt hat, kommt ein leiser Pfiff aus seinem Mund. Er macht Mancuzo ein Zeichen, der sich seinerseits über das Okular beugt.
    »Siehst du auch, was ich sehe?«
    Ohne zu antworten, spricht Mancuzo sogleich wieder in sein Diktiergerät. Dabei wischt er sich einen Schweißtropfen von der Stirn. »Als Nächstes untersuchen wir die Cornea des Mörders von Hattiesburg. Die entnommene Probe weist eine ungewöhnliche Konzentration der für das Dämmerungssehen zuständigen Stäbchen auf, während die Zahl der für das Helligkeitssehen zuständigen Zäpfchen deutlich geringer ist. Außerdem sind sie unterentwickelt. Das legt die Vermutung nahe, dass der Mann den größten Teil seines Lebens in der Dunkelheit zugebracht hat, sodass sich seine Augen darauf eingestellt haben. Man kann sogar den Schluss ziehen, dass er sozusagen ›tagblind‹ war und sich, wie nachtaktive Tiere, nur dann bei Helligkeit hervorgewagt hat, wenn es unerlässlich war …«
    Mit zögernder Stimme fällt ihm Bannerman ins Wort. »Wollen Sie damit sagen, dass der Mörder eine Art … eine Art Vampir war?«
    »Nein, Sheriff, das nicht – eher jemand, der in unterirdischen Räumen gelebt und sie ausschließlich nachts verlassen hat, weil er erst bei

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