Das Evangelium nach Satan
stammt von einem Skelett, das die Templer in einer der Höhlen dort gefunden haben. Es wies nach wie vor die Stigmata der Passion Christi sowie zahlreiche Knochenbrüche an den Stellen auf, an denen die Römer auf Arme und Beine des Janus eingeschlagen hatten, um sein Sterben zu beschleunigen. Das Skelett, auf dessen Schädel eine Dornenkrone saß, war in der trockenen Luft der Höhle bestens erhalten geblieben.«
»Aber …«
»Sagt es nicht.«
»Und das hier ist alles, was von … Janus geblieben ist?«
»Jedenfalls alles, was die Kirche nach dem Massaker an den Schwestern des Matterhorn-Klosters retten konnte. Sie hatten diese Reliquien zusammen mit dem Evangelium unter ihrer Obhut. Ein Generalinquisitor, der seinerzeit damit beauftragt war, das Verbrechen zu untersuchen, hat diesen Knochen in einer Feuerstelle des Klosters entdeckt. Man nimmt an, dass den Nonnen gerade genug Zeit geblieben war, das übrige Skelett zu verbrennen, damit nichts von diesen Reliquien den Seelenräubern in die Hände fiel. Eine Ausnahme bildet der Schädel des Janus, den die Oberin bei ihrer Flucht zusammen mit dem Satansevangelium retten konnte.«
»Ich nehme an, dass man das Alter dieses Knochens hier hat bestimmen lassen?«
»Zu wiederholten Malen.«
»Und mit welchem Ergebnis?«
»Es gibt nicht den geringsten Zweifel: Der, von dem er stammt, ist mit Sicherheit zur selben Zeit wie Christus gestorben.«
»Das beweist aber nicht unbedingt, dass er es ist.«
Der Papst senkt den Kopf und schweigt einen Augenblick. Seine Hände zittern.
»Eure Heiligkeit, gibt es einen Beweis dafür, dass es sich bei jenem Skelett um das des Erlösers handelt?«
Langsam hebt der Papst den Kopf. In seinen Augenwinkeln schimmern Tränen.
»Bitte, Eure Heiligkeit – was auch immer es sein mag, was Ihr mir sagen könnt. Ich muss es unbedingt wissen.«
11
Über die Leiche gebeugt, misst Stanton mithilfe eines Teststreifens den pH-Wert eines grünlichem Schleims. Dann breitet er eine Probe davon auf einem Objektträger aus.
»Es folgt die Untersuchung des Mageninhalts. Der Mann hat sich offensichtlich von Beeren, Wurzeln, Knollen und magerem Fleisch ernährt – Hinweis auf eine naturnahe Lebensweise. Es finden sich Überreste von stärkehaltigen Nahrungsmitteln und …«
Mit einem Mal wird Stantons Gesicht wachsbleich. Seine Finger verharren reglos am Einstellrädchen des Mikroskops.
»Gott im Himmel, Bart, sieh dir das mal an!«
Mancuzo tritt an das Mikroskop und sieht aufmerksam hindurch. Schließlich sagt er ins Diktiergerät: »Ich sehe verdautes Protein und Chromosomenpartikel. Der Magen des Mannes enthält zweifellos Überreste menschlicher Muskelfasern und Innereien.«
»Dann war unser angeblicher Vegetarier ja ein verdammter Kannibale …«
»Da ist noch was.«
»Was?«
Mancuzo ergreift eine Pinzette und stochert damit in Kalebs offenem Magen herum. Weil er das Gesuchte nicht findet, schneidet er ihn bis zum Ansatz der Speiseröhre auf und führt eine Glasfaseroptik in den Verdauungstrakt ein. Wieder ohne Ergebnis. Ein erneuter Schnitt mit Mancuzos Elektroskalpell bis zum Zwölffingerdarm. Ein entsetzlicher Gestank breitet sich aus, doch nach einer Weile erfasst Mancuzo mit seiner Pinzette etwas Hartes. Während er die Pinzette wieder herauszieht, zeigt sich im Schein der Leuchtstoffröhren eine ovale faserige Knolle mit Wurzelfädchen an einem Ende.
»Zum Teufel …«
»Was ist das?«
»Tuberculus perennis. Diese Wurzel hat man früher in Höhlen bei völliger Dunkelheit angebaut und langsam in Essig und Wasser weich gekocht. Die alten Römer und die keltischen Druiden waren überzeugt, dass man damit unsichtbare Wunden heilen und die Pest vertreiben kann.«
»Und was hat es damit auf sich?«
»Die Pflanze wird seit dem fünfzehnten Jahrhundert nicht mehr angebaut. Die einzigen verschrumpelten Exemplare, die es davon noch gibt, befinden sich in botanischen Museen und Labors. Die Knolle hier ist aber noch ziemlich frisch. Wenn man jetzt noch hinzunimmt, dass der Mann nie bei einem Arzt gewesen zu sein scheint, Rußspuren in der Lunge hat und über die ausgeprägte Fähigkeit verfügt, in der Dunkelheit zu sehen, gerät man zwangsläufig in eine Sackgasse.«
»Was soll das heißen?«
»Nun, anhand der wissenschaftlichen Ergebnisse, die ich vor mir habe, sehe ich mich zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass wir es hier mit jemandem zu tun haben, der den größten Teil seines Lebens zwischen Mitte und Ende des Mittelalters
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