Das Evangelium nach Satan
einholte, nach deren Einnahme man die Seelen der Toten in der Finsternis wandeln sehen konnte. Es ging um die teuflischen Kräfte des Jaguar-Gottes, der Giftspinnen und der Nachtvögel. Schließlich bestand durchaus eine unübersehbare Ähnlichkeit zu den Mächten, gegen die der Exorzist in der ›Welt ohne Bäume‹ kämpfte, wie die Yanonámi sagten. Diese Ähnlichkeit war so groß, dass er bei der Jagd nach seinen eigenen Dämonen durchaus von Zeit zu Zeit auf die Beschwörungsformeln und Zaubertränke der Yanonámi zurückgriff.
Die Schamanen hatten der Mission in Pernambuco mitgeteilt, dass ein junges Mädchen ihres Stammes Anzeichen äußerster Besessenheit aufwies: Stimme und Leib dieser Yanonámi-Prinzessin mit Namen Maluna hatten angefangen, sich mit dem abnehmenden Mond zu verändern.
Einige Tage zuvor, hieß es, sei im Wald ein unbekanntes Übel aufgetreten, das Quellen vergiftete und Tiere tötete. Krieger, die von den äußeren Rändern des Yanonámi-Gebiets zurückkehrten, hatten berichtet, dass eine graue Fäule die Stämme der hohen Bäume bedecke, eine ekelerregende Krankheit, die durch die Rinde drang und den Saft der Urwaldriesen vergiftete.
Dann hatte sich das Übel unter den Affen und Vögeln ausgebreitet, deren Kadaver wie versteinert in den Bäumen hingen. Als Nächstes hatten die schwangeren Frauen des Stammes zu bluten begonnen, und die Schamanen hatten die weit vor der Zeit zur Welt gekommenen missgebildeten kleinen Leichname beerdigen müssen. Als sich dann auch noch Prinzessin Maluna verwandelt hatte und Lästerungen in der Sprache der Missionare ausstieß, hatten sie sich aufgemacht, um den weißen Vätern mitzuteilen, dass unbekannte Dämonen in den Urwald eingedrungen seien und ein ungeheures Übel mitgebracht hätten.
4
»Sie dürfen nicht schlafen.«
Schweißbedeckt öffnet Alfonso Carzo die Augen und sieht das gerötete Gesicht Pater Alamedas über sich, der die Missionsstation leitet. Der Exorzist rümpft die Nase, als er dessen Atem riecht: Alameda hat wieder Palmwein getrunken, um seine Angst zu betäuben. Carzo schließt erschöpft die Augen und stößt einen Seufzer aus. Jede Zelle seines Körpers will, dass er liegen bleibt und einschläft, um nie wieder aufzuwachen. Gerade, als er dieser Verlockung nachgeben will, rütteln ihn Alamedas kräftige Hände erneut. »Sie müssen kämpfen. Es ist der Wille des Untiers, dass Sie schlafen.«
Mühevoll öffnet Carzo die Augen und dreht sich zur lose geflochtenen Wand der Hütte hin. Draußen wird es allmählich hell. Der vom Rio Negro herüberkommende Dunst hat sich über die Lichtung gelegt, auf der die Gebäude der Missionsstation stehen: eine Kapelle, die wie ein Blockhaus gebaut ist, und einige Lehmhütten. Es gibt dort so gut wie nichts, weder Krankenstation noch Arzt, keinen Stromgenerator und nicht einmal ein Moskitonetz. So also sieht die Missionsstation São Joachim aus: das Dornengestrüpp des Gartens Eden.
Carzo richtet sich in seiner Hängematte auf und lauscht in die Stille. Gewöhnlich wachen bei Tagesanbruch die Papageien und die Brüllaffen auf und beginnen als Erste das große Konzert des tiefen Waldes. Aber er kann noch so aufmerksam hinhören, alles bleibt still.
Er erhebt sich und taucht die Hände in das Becken mit lauwarmem Wasser, das ihm Alameda hingestellt hat. Das Wasser ist trocken, jedenfalls kommt es Carzo so vor, während er sich damit das Gesicht benetzt: die sonst so tröstliche Berührung des Wassers vermag die Feuchtigkeit nicht zu vertreiben, die seinen Geist lähmt.
Nachdem er sich mit seiner Kutte abgetrocknet hat, wirft er einen prüfenden Blick auf den Korb mit Früchten, den ihm Alameda hinhält. Es sind geviertelte Papayas und wilde Ananas. Der Missionar hat ihre Schale bis auf das bloße Fruchtfleisch entfernt, um sie von der grauen Fäulnisschicht zu befreien, die sich auf alles legt. Carzo nimmt einen Mundvoll und kaut lustlos auf der geschmacklosen faserigen Masse herum. Ganz wie das Wasser scheinen diese sonst so saftigen Früchte ihres Wesens beraubt zu sein. Der Urwald steht im Begriff zu sterben.
5
Aufmerksam mustert Carzo das karge liturgische Arsenal, das ihm für den bevorstehenden Kampf zur Verfügung steht: ein Rosenkranz, eine Feldflasche mit geweihtem Wasser aus Fatima und sein Exorzistenbuch. Dann folgt er Alameda durch die verlassenen Einrichtungen der Missionsstation. Unbeweglich steht die Luft, die nach Humus und Fäulnis riecht, am Fuß der hohen Bäume, ein
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