Das Evangelium nach Satan
Kampfes waren nötig gewesen, bis Astaroth mit einem Mal aufgegeben hatte. Das allerdings hatte Carzo misstrauisch gemacht. Es war ihm zu einfach erschienen. Seiner Vermutung nach hatte man dem Dämon bedeutet, es sei genug – wahrscheinlich hatte dessen Auftauchen keinen anderen Zweck verfolgt, als Carzo ans andere Ende der Erde zu locken. Das Ganze, davon war der Priester fest überzeugt, als er seine Habseligkeiten wieder zusammenpackte, war von vornherein nichts als ein Ablenkungsmanöver gewesen. Jedenfalls war er, als dieser Kampf vorüber war, ins erste Flugzeug nach San Francisco gestiegen und hatte sich erneut zu den Tauben und Greisen im Kloster gesellt – bis das Telefon klingelte.
2
Als Kardinal Camanos Anruf kam, saß Carzo im Park bei einem Dutzend alter Exorzisten, die auf ihren Bänken eingeschlafen waren. Es war ziemlich kühl, und am Abendhimmel, soweit er hinter den Wolken sichtbar war, schien ein Blutregen niederzugehen.
Gerade hatte Carzo den Tauben, die gurrend zu seinen Füßen umherliefen, eine Handvoll Körner hingeworfen, als eine alte Nonne mit einem schnurlosen Telefon in der Hand auf ihn zukam. Nachdem er einen ärgerlichen Seufzer ausgestoßen hatte, bemühte er sich, möglichst gleichmütig und zugleich betont munter zu sprechen.
»Nun, Eure Eminenz, lassen sich unsere Spezialisten wieder einmal durch nachts an die Mauer schlagende Fensterläden und knarrende Türangeln erschrecken?«
»Nein, Alfonso. Diesmal ist die Sache ernsthafter. Du musst dich so schnell wie möglich wieder auf den Weg machen.«
Carzo spürte seinen inneren Widerstand.
»Worum geht es?«
»Uns sind fünfzig Fälle satanischer Besessenheit bekannt geworden, die gegen das exorzistische Ritual des Zweiten Vatikanischen Konzils immun zu sein scheinen.«
»Grundgütiger! Gleich fünfzig?«
»Das ist der augenblickliche Stand.«
»Wie äußert sich diese Besessenheit?«
»Die Besessenen besitzen nicht nur übermenschliche Kräfte, sondern auch die Gabe der Sprachen. Sie sprechen mit Stimmen, die nicht die ihren sind, und sind zur Autokinese fähig, das heißt, sie können Gegenstände durch bloßen Willensbefehl bewegen.«
»Treten auch Veränderungen an Gesicht und Körper auf?«
»Ja. Vor allem aber …«
»Ja?«
»… sind ihnen Dinge bekannt, die sie eigentlich nicht wissen können, Dinge über das Danach und das Jenseits.«
»Zum Beispiel?«
»Die Enthüllungen der Madonna von Medjurgorge, derer von Fatima, von Lourdes und von Salem. Obwohl die Kirche nichts davon je an die Öffentlichkeit gebracht hat, kennen sie die, Alfonso. Sie wissen Dinge über die Hölle, und sie wissen Dinge über das Paradies.«
»Ach was, Eure Eminenz, über das Paradies wissen die Dämonen nichts.«
»Bist du dir da sicher?«
Ein langes Schweigen war eingetreten. Dann hatte sich Camano erneut zu Wort gemeldet: »Das ist aber noch nicht alles. Alle Besessenen weisen völlig gleiche Symptome auf und wiederholen Wort für Wort dieselben Sätze in derselben Sprache. Dabei kennt keiner von ihnen den anderen, sie haben nie miteinander gesprochen und leben in weit voneinander entfernten Weltgegenden. Genau gesagt, haben sie da gelebt.«
»Was soll das heißen?«
»Es sind lauter Tote, Alfonso. In jedem der Fälle ist die Besessenheit bei Menschen aufgetreten, die einige Stunden zuvor gestorben waren. Während der Totenwache durch die Angehörigen sind die ersten Anzeichen aufgetreten.«
»Ich bitte Sie, Eminenz, Sie wissen genauso gut wie ich, dass das unmöglich ist! Die Mächte des Bösen können Tote weder erwecken noch in sie fahren!«
»Wie erklärst du es dann, dass jeder von ihnen behauptet, dass er dich kennt, Alfonso? Und wieso wollen sie mit dir und keinem anderen reden? Du musst unbedingt sofort zurückkehren. Hörst du mich? Du musst … zurückkehren …«
»Hallo? Eminenz? Hören Sie mich?«
Mit einem Mal rauschte es im Telefon so laut, dass Carzo es weit von seinem Ohr weghielt. Dann hörte das Rauschen ebenso plötzlich auf, wie es gekommen war. In der Leitung war es totenstill geworden. Im selben Augenblick drückte ein eiskalter Windstoß die Baumwipfel nieder, und Carzo spürte einen widerwärtigen Veilchengeschmack in der Kehle. Diesen Geschmack kannte niemand besser als er.
»Eminenz?«, sagte er noch einmal ins Telefon.
»Füttere deine Tauben weiter, Carzo, und halt dich da raus, sonst fress ich deine Seele.«
Er merkte, wie sich seine Nackenhaare beim Klang der leblosen Stimme
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