Das Evangelium nach Satan
muss noch einmal ganz von vorn mit der Suche beginnen. Es ist wichtig, dass wir alle Kräfte einsetzen, um den Seelenräubern zuvorzukommen. Wenn wir erst einmal im Besitz der Reliquien sind, sollten wir sie zerstören, denn sie können als Beweisstücke für die Lüge dienen. Setzt unverzüglich die besten Eurer Leute darauf an.«
»Das ist bereits geschehen, Eure Heiligkeit.«
»Wen habt Ihr mit dieser Aufgabe betraut?«
»Den besten von allen, Hochwürden Alfonso Carzo. Diesen Exorzisten habe ich selbst herangebildet. Er kann den Geruch der Heiligen vom Gestank des Satans unterscheiden. Wenn jemand imstande ist, die Quelle des sich ausbreitenden Übels zu finden, dann er.«
∗ ∗ ∗
TEIL VIER
1
Im Gebiet der Yanonámi, im Herzen Amazoniens
Vor vierzehn Stunden war der Exorzist Alfonso Carzo in der tief im Herzen des Dschungels verlorenen Missionsstation der Jesuiten São Joachim de Pernambuco angekommen. Ohne sich auszuziehen oder ein Wort zu sagen, hatte er sich in eine Hängematte gelegt. Noch immer schlief er wie ein Stein. Der Urwald um ihn herum war in tiefe Stille versunken.
Seit drei Wochen war der Priester im Auftrag der Wunder-Kongregation auf dem ganzen Planeten unterwegs, um die wachsende Zahl der Fälle von äußerster Besessenheit zu untersuchen. In diesen drei Wochen hatte er auf Langstreckenflügen und in schmuddeligen Hotels manche schlaflose Nacht zugebracht. Drei Wochen lang hatte er nach den Anzeichen geforscht und versucht, der Unzahl von Dämonen auf die Fährte zu kommen, deren ungewöhnliche Aktivität darauf hinwies, dass die Mächte des Bösen im Begriff standen, die Welt erneut heimzusuchen.
Begonnen hatte es damit, dass Mönche und Nonnen jeden Alters sozusagen von einem Augenblick auf den anderen Christi Wundmale aufwiesen. Dann hatte man nahezu überall auf der Welt beobachtet, dass Standbilder der Jungfrau Maria in den Kirchen anfingen, Tränen zu vergießen, außerdem waren während der Messe Kruzifixe in Brand geraten. Noch später waren die Menschen Zeugen von unerklärlichen Wunderheilungen und anderen sonderbaren Erscheinungen geworden. Als die Zahl dieser Manifestationen des Satans überhandnahm und sich die Fälle von Besessenheit in beunruhigender Weise häuften, hatte eine unbekannte Hand die Nummer des auf den Höhen über San Francisco gelegenen Zisterzienserinnen-Klosters Unserer Lieben Frau vom Sinai gewählt, wo sich der umherreisende Pater Alfonso Carzo zu jener Zeit aufhielt.
Unsere Liebe Frau vom Sinai war keins der landläufigen Nonnenklöster. Hinter seinen Mauern, die nie ein Außenstehender durchschritt, lebten rund fünfzig Exorzisten, deren Körper und Geist der Kampf gegen das Böse vorzeitig erschöpft hatte, um sich zu erholen. Einer wie der andere waren sie gegen die Erzengel der Hölle angetreten, und jeder Einzelne von ihnen war schon mindestens einmal im Lauf seiner Arbeit von finsteren Mächten besessen gewesen. Es war ein einfacher Fall von Kontaktinfektion: Unversehens gleitet der Arm des Besessenen aus der Schlinge, die ihn hält und packt den Exorzisten an der Gurgel. So etwas geschah fast immer kurz vor Ende einer Teufelsaustreibung; das war jeweils der Augenblick, in dem der Dämon wirklich gefährlich wurde. Wenn es so weit war, erhob sich in dem Raum, in dem der Gotteskrieger im Kampf mit dem Untier lag, ein ungeheures Geheul, und seine Helfer fanden ihn in der Mehrzahl der Fälle bewusstlos auf, mit gealtertem Gesicht und vor Entsetzen vor dem, was er gesehen hatte, grau gewordenem Haar. Das war jedem von denen geschehen, die jetzt im Kloster Unserer Lieben Frau vom Sinai wieder zu Kräften zu kommen versuchten. Von jenem Augenblick der unmittelbaren, erzwungenen Begegnung mit dem Dämon an suchte die unauslöschliche Erinnerung daran die zittrigen Greise immer wieder heim. Es waren tote Seelen, deren irdische Hülle man der Fürsorge der Nonnen jenes Ordens anvertraut hatte.
An Hochwürden Carzo pflegte sich die Wunder-Kongregation in besonders schweren Fällen von Besessenheit zu wenden, bei denen seinen Kollegen kein Erfolg beschieden war. Genau das war vor drei Wochen geschehen, während er auf einer Bank saß und die von der Bucht heraufwehende Salzluft in sich einsog. Er war erst kurz zuvor aus Paraguay zurückgekehrt, wo er einen Geist ausgetrieben hatte, der von sich behauptet hatte, er sei der große Dämon Astaroth, sechster Erzengel der Hölle und oberster Fürst der Orkane. Elf Nächte eines erbarmungslosen
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