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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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aufrichteten.
    »Wer sind Sie?«
    »Das weißt du doch genau, Carzo.«
    »Sagen Sie es mir selbst.«
    Als Antwort schlug dem versteinerten Exorzisten ein Gewirr brüllender Laute entgegen. Das Geheul der an ihr Lager gefesselten Besessenen, von denen Camano berichtet hatte, bellte den Namen des Exorzisten heraus, um ihn zu sich zu locken. Aus diesem Ozean aus Geschrei hörte Carzo Stimmen heraus, die auf Latein, Hebräisch und Arabisch die Namen der Dämonen der drei großen Religionen riefen. Dann hoben auch die auf den Parkbänken eingeschlafenen alten Exorzisten den Kopf, und weitere Stimmen, die Carzo gut kannte, kamen über ihre reglosen Lippen: »Ich heiße Gamesh.«
    »Ich bin der Wanderer.«
    »Loki, Mastema, Abrahel und Alrinarch.«
    »Ich bin Adramelech, Großkanzler der Hölle.«
    »Adag narod abbadon! Ich bin der Zerstörer!«
    »Ich bin Astaroth, erinnerst du dich an mich, Carzo?«
    »Belial, ich bin Belial.«
    »Mein Name ist Legion.«
    »Wir sind Alu, Mutu und Humtaba.«
    »Wir sind Seth, Luzifer, Mammon, Beelzebub und Leviathan.«
    »Azazel, Asmoug, Ahriman, Durga, Tiamat und Kingu. Wir sind da, wir sind alle da.«
    Dann knackte es in der Leitung, den alten Priestern sank das Kinn wieder auf die Brust, und sie schliefen erneut ein. Carzo schaltete das Telefon aus. Mit einem Mal sah er, dass sich der Himmel mit eigentümlichen schwarzen Wolken bezog und statt der zwei Dutzend Tauben, die er noch vor wenigen Minuten gefüttert hatte, mit einem Mal Hunderte von ihnen im Gras und auf den Bäumen des Parks saßen. Eine stumme geflügelte Armee, die auf den Rasen kotete, mit wildem Schwingenschlag näher kam und ihn immer dichter umringte.
    »Fliehen Sie, Hochwürden, fliehen Sie!«
    Die Rufe der alten Nonne rissen Carzo aus seiner Benommenheit. Er hob den Blick und erkannte, dass das, was er als Gewitterwolke angesehen hatte, nichts anderes als ein kompakter Schwarm von Staren war, deren Vorhut auf den Park und das Kloster hinabzustoßen begann. Daraufhin eilte er die Stufen der Freitreppe empor, wobei ihm die Nonne gleichsam als Schutzschild diente.
    Im selben Augenblick stürzte sich die Armee von Tauben auf die schlummernden Greise und die Nonne, die wild mit den Armen um sich schlug. Hinter den Fenstern des Klosters stehend, sah Carzo, wie sich die wirbelnde Masse aus Gefieder und Schnäbeln auf ihre Beute stürzte, hörte das Geheul, das die Unglückliche ausstieß, während die Vögel nach ihren Augen hackten. Die Kehle von Federn bedeckt sank sie in die Knie, dann erstarben ihre Schreie.
    Gerade, als ihr Carzo zu Hilfe eilen wollte, begann ein Geschosshagel auf die Scheiben des Klosters einzuprasseln, ein dumpfes Grollen, das er anfangs für den Aufprall schwerer Hagelkörner hielt. Dann sah er, dass der Park schwarz von toten Staren war, die gegen die Scheiben geflogen waren. Jeder der gegen die Scheibe klatschenden Vogelkörper hatte einen Blutregen ausgelöst. Als dann der ekelhafte Veilchengeschmack erneut Carzos Kehle erfüllte, begriff er, dass sich die Pforten der Hölle zu öffnen begannen.

3
    Die Missionsstation São Joachim war ein winziges schwarzes Pünktchen in der Unendlichkeit des Urwalds. In jenem Winkel der Erde, den man ihm als Ort der äußersten Besessenheit genannt hatte, scheiterte der Exorzist Carzo, welcher der Fährte der ihm von Camano genannten Besessenen bis dorthin gefolgt war.
    Bei seiner Landung in Manaus hatte ihn eine Piroge erwartet, die ihn in der klammen Nachtluft den Rio Negro aufwärts bringen sollte. An diesen Teil der Reise hatte Carzo nur noch verschwommene Erinnerungen: der erstickende Dunst über dem Wasser, das Geräusch, mit dem die Paddel eintauchten, die dichten Schwärme von Stechmücken, das Fieber und die Angst, die ihn schüttelte … aber auch die Schreie, die am Ufer aufgestiegen waren. Es hatte fast geklungen, als kämen sie aus dem Mund von Menschen. In der Nähe der Missionsstation war dann wieder Stille eingetreten, so, als seien alle Tiere des Urwalds verendet oder vor einer unsichtbaren Bedrohung geflohen.
    In der Abenddämmerung hatte er eine Handvoll Yanonámi gesehen, die seiner Ankunft von einer Art Ponton aus zugesehen hatten. Jetzt befand er sich am vorläufigen Endpunkt seines Weges von den Wolkenkratzern San Franciscos dorthin, wo das Untier auf ihn wartete.
    Doch es war weder Carzos erster Besuch bei den Yanonámi, noch das erste Mal, dass er bei deren Schamanen Erkundungen über Wald-und Flussgeister wie auch über die Mittel

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