Das Evangelium nach Satan
…«
Schritte hallen auf dem Marmorboden. Carzo wendet sich um und sieht, dass die Kerzenflammen eine nach der anderen zuckend erlöschen. Er saugt prüfend die Luft ein. Außer dem modrigen Hauch, der von den Büchern und Dokumenten am Boden aufsteigt, nimmt er einen starken Veilchengeruch wahr.
»Geh jetzt, Carzo. Geh und sieh dich nicht um. Nur sein Geist ist hier, nicht seine Hülle. Wenn du dich beeilst, kann er dir nichts tun.«
»Exzellenz, Sie haben mir nicht gesagt, was mit den Olmeken war. Was ist da im Urwald geschehen? Ich bitte Sie!«
Aus Jacominos Mund kommt ein Keuchen, dann sinkt sein Kopf auf die Brust. Carzo spricht mit leiser Stimme das Sterbesakrament. Kaum hat er die letzten Worte gesagt, als sich der Kopf des Alten mit einem Lächeln wieder hebt. Seine Stimme klingt verändert: »Wer ist da?«
Der Exorzist weicht einige Schritte zurück. Das Wesen, das in den alten Priester gefahren ist, versucht, ihn am Geruch zu erkennen.
»Bist du das, Carzo? Was hat dir der alte Dummkopf erzählt?«
»Frag ihn selbst.«
Ein helles Lachen kommt aus der Kehle des Greises.
»Dein Freund ist tot, Carzo, ich habe nicht die Macht, im Herzen der Toten zu lesen.«
»Gib seine Seele frei, und ich antworte dir.«
»Zu spät.«
»Du lügst. Ich weiß, dass sie noch hier ist.«
»Woher willst du das wissen, armer Narr?«
Carzo hebt den Blick und sieht aufmerksam auf die Hände des Gequälten, die sich um die Nägel zusammengekrampft haben.
»Seine Handflächen bluten, also schlägt sein Herz noch.«
Wieder ertönt das Lachen.
»Ja, aber bald krepiert er. Und dann verschlinge ich seine Seele zusammen mit deiner.«
Ohne das Geschöpf aus den Augen zu lassen, das sich bemüht festzustellen, wo er sich befindet, weicht der Exorzist langsam zurück, dem Pult entgegen, auf dem die Abhandlung über die Hölle liegt.
»Wohin willst du, Carzo?«
In der Stimme des Untiers liegt ein Anflug von Unruhe. Der Exorzist geht um das Pult herum und wischt das Blut vom Buch, das dort liegt. Der Ritus der Finsternis. So alt ist die Sprache, in der dieser Text abgefasst ist, dass sie sich in der Nacht der Zeiten verliert. Carzo sucht die Formel, die er braucht. Als er sie gefunden hat, konzentriert er sich, um die beklemmende Angst zu verjagen, die sich in ihm ausbreitet. Dann hebt er die Hand dem Wesen entgegen und ruft mit lauter Stimme: »Amenach tah! Enla amalach nerod!«
Bei diesen Worten windet sich Jacominos Körper vor Qualen.
»Ha! Das brennt! Was machst du da, Carzo?«
»Warum hast du ihn geblendet?«
»Das war nicht ich! Das war er! Er hat es selbst mit einem Stück Holz getan, bevor ich seine Seele verschlingen konnte.«
»Und weißt du, warum?«
»Es brennt, Carzo.«
»Er hat das getan, damit sein Leib dein Gefängnis wird. Kein Geist kann aus dem Körper eines Blinden entweichen, solange er noch lebt. Es steht im Ritus der Finsternis .«
Das Wesen verzieht verächtlich die Lippen.
»Er macht es nicht mehr lange, Carzo. Dann komme ich aus seiner Hülle heraus und hole mir deine Seele.«
»Seine Seele gehört dir nicht mehr. Er hat seine Sünden gebeichtet und das Sterbesakrament empfangen.«
»Und wenn schon, Carzo.«
»Du hast das Verbrechen begangen, eine Seele an dich zu reißen, die der Herr erlöst hat. Sein Tod wird dich nicht befreien. Amenach tah. Enla amalach nerod. Mit diesen Worten verdamme ich dich zu ewiger Gefangenschaft.«
Qualvolles Röcheln dringt aus Jacominos Lippen.
»Jemand wird kommen und mich befreien, Carzo. Irgendjemand wird die Leichen deiner Freunde entdecken, und dann wird man mich befreien.«
»Außer den Jesuiten, die du getötet hast, kennt niemand den Gang, der hierherführt. Ich werde ihn versiegeln, bevor ich gehe, und du wirst bis ans Ende der Zeiten jammern.«
Nachdem Carzo dies Urteil gesprochen hat, entfernt er sich von dem Geschöpf, das sich mit heftigen Bewegungen von den Nägeln loszureißen versucht. In der Mitte des Bibliothekssaals hört er, wie es hasserfüllt in die Dunkelheit brüllt: »Das ist nicht das Ende, Carzo. Hörst du mich? Das ist erst der Anfang!«
Der Exorzist schlägt die Tür hinter sich zu. Die Stimme des Untiers verfolgt ihn durch das ganze Kellergeschoss, doch als er die Treppe zum Chor der Kathedrale emporsteigt, verstummt sie allmählich. Gleich, nachdem er den Geheimgang verlassen hat, zerstört er den Mechanismus. Der steinerne Sockel des heiligen Franziskus knirscht ein letztes Mal, dann hat das Standbild wieder seine
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