Das Evangelium nach Satan
war, das rascher in ihrer Brust schlug, sondern das Gillians. Ihr Geist hatte sich dem des Mörders anverwandelt. Mit Mühe war es ihr gelungen, dem Trieb zu widerstehen, dem sie zu erliegen drohte; sie hatte im letzten Augenblick gemerkt, dass sie im Begriff stand, die Herrschaft über sich zu verlieren. Daraufhin hatte sie sich noch mehr bemüht, Gillian einzuholen, bevor er die Küste erreichte.
Nach einer Jagd, die zwei Wochen gedauert hatte, in denen er noch drei weitere Morde beging, hatte sie ihn schließlich an einem verlassenen Strand nahe Cape Nelson gefunden. Das hätte ein letztes Verbrechen in der Schwärze der Nacht werden können, eine letzte Vergewaltigung auf dem kalten Sand, ein letzter Dolchstich in einen Unterleib, bevor er am nächsten Tag nach New York zurückgeflogen wäre, um dort seiner Freundin Nancy wieder in die Arme zu sinken und völlig unauffällig das Studienjahr hinter sich zu bringen – bis zu den nächsten dem Verbrechen gewidmeten Semesterferien.
Gillian Ray war gerade dabei, seinem künftigen Opfer die Haare zu bürsten, als Maria von hinten an ihn herangetreten war. Sie hatte ihm den Lauf ihrer Waffe hinter das Ohr gehalten und »FBI« gesagt, gerade so laut, dass er es über dem Rauschen der Brandung verstehen musste. Wie nicht anders zu erwarten hatte er einen Dolch gezogen, dessen Klinge im Mondlicht aufblitzte. Mit geschlossenen Augen hatte sie dann aus nächster Nähe ihr Magazin geleert. Sie hatte gehört, wie seine Schädeldecke unter dem Aufprall der Geschosse barst, und gesehen, wie sein Blut in den Sand lief. Sie hatte den Geruch seines verbrannten Gehirns wahrgenommen. Dann hatte sie sich gezwungen, die Augen zu öffnen und den Mann anzusehen, ihn zu berühren, um festzustellen, ob er tot war. Dank ihrer Tränen hatte Maria zu guter Letzt den Ausgang aus dem Labyrinth gefunden.
9
Je näher Carzo dem alten Jesuiten kommt, desto klarer wird ihm, was sich abgespielt haben muss. Der Seelenräuber hat den halbtoten Pater Jacomino zu einem der Deckenbalken emporgezogen und dann seine Schultern, Ellbogen und Hände daran festgenagelt. Sechs lange Zimmermannsnägel, deren Spitzen sich durch die Gelenke gebohrt haben, bevor sie in das harte Holz eingedrungen sind.
Unmittelbar vor dem Toten, der da hängt, bleibt Carzo stehen. Blut läuft in Rinnsalen aus den Wunden über Hals und Rumpf des Alten. Der Exorzist sieht nach oben. Ein starker Ammoniakgeruch dringt ihm in die Nase. Er schiebt Jacominos Gewand beiseite und sieht, dass ihm der Seelenräuber unterhalb des Nabels beginnend den Leib gerade soweit aufgeschlitzt hat, dass die Eingeweide freiliegen und gegen die nur wenige Zentimeter lange Wunde drücken, ohne jedoch hinauszugelangen. Der langsame Tod.
Mit einem Mal fällt Carzo auf, dass die Blutung stärker wird, so, als ob das Herz des Alten anfinge, rascher zu schlagen.
»Pater Jacomino, hören Sie mich?«
Der Kopf des Gemarterten hebt sich langsam, und Carzo sieht ihm in die leeren Augenhöhlen.
»Pater Jacomino, ich bin es, Alfonso.«
Ein heiseres Stöhnen. Die Stimme des Jesuiten ist kaum hörbar: »Gütiger Gott, Alfonso. Er kommt. Er kommt zurück, um mich zu holen. Töte mich, damit er mir nicht die Seele raubt.«
»Wer kommt?«
»Er. Er kommt, um meine Seele zu holen. Er will sie mit sich nehmen. So machen die das. Sie ersticken die Seele und nehmen sie mit. Lass es nicht zu, Alfonso, töte mich jetzt gleich, bevor ich den Glauben verliere und dem Ungeheuer anheimfalle.«
»Das kann ich nicht, Pater Jacomino. Das wissen Sie doch. Es geht einfach nicht.«
Der geblendete und an den Balken genagelte Greis stimmt eine lange verzweifelte Klage an: »Allmächtiger Herr, ich glaube nicht mehr an Gott, Alfonso! Hörst du mich? Mein Glaube stirbt, und ich werde in der Hölle braten, wenn du mich nicht sofort tötest.«
Dann sackt Jacominos Leib mit seinem gesamten Gewicht nach unten. Das Blut aus seinen Wunden tropft zu Boden. Mit Tränen in den Augen senkt Carzo den Kopf und sagt leise vor sich hin: »Sie selbst töten Ihre Seele, indem Sie mich bitten, Ihnen das Leben zu nehmen. Bedenken Sie, dass Gott auf Sie sieht und Ihren Glauben danach beurteilt, wie Sie Ihren Todeskampf bestehen. Denken Sie auch daran, dass es kein Versagen und kein Verbrechen gibt, das unser Herr nicht vergeben kann. Soll ich Ihnen die Beichte abnehmen, bevor Sie vor Ihren Schöpfer treten?«
Jacomino hebt erneut den Kopf. Seine toten Augen scheinen in der Dunkelheit etwas zu
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