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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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hätte gehofft, dass der Kripochef sich vielleicht doch noch ein Geständnis herauslokken lässt, oder zumindest, dass er sich vielleicht im Koma ein bisschen verplappert. Aber keine Chance, der Brigadier war nicht ansprechbar, und in dem Moment, wo der Brenner schon aufgeben und sich auf den Heimweg machen wollte, kommt auf einmal die Soili herein.
    Der Brenner ist erschrocken, wie schlecht die Soili ausgeschaut hat. Er hätte sich nicht gedacht, dass tagelanges Weinen ein Gesicht so mitnehmen kann. Also nicht dass du mich falsch verstehst. Ihr Gesicht hat ihm jetzt fast noch besser gefallen als in der guten Zeit, der Brenner sehr für die schmalen und blassen Gesichter, weil Motto, grob bin ich selber. Aber man hat ihr eben an der Nasenspitze angesehen, dass es ihr gar nicht gut geht. Und dass sie den Brenner im Sterbezimmer antrifft, hat ihre Stimmung auch nicht gerade verbessert. Er hat das Gefühl gehabt, sie ahnt es irgendwie, dass er nicht nur aus alter Freundschaft hier ist.
    »Ich lasse Sie gleich allein mit Ihrem Mann«, hat er so scheinheilig gesagt, dass der Aschenbrenner sich im Grab umgedreht hätte, wenn er schon dort gewesen wäre.
    Aber die Soili hat gesagt, er soll ruhig hier bleiben, weil ihr Mann freut sich vielleicht, wenn er vertraute Stimmen hört. Und sie selber weiß schon nicht mehr, was sie mit ihm reden soll.
    Der Brenner hat natürlich auch nicht gewusst, was er mit ihr im Sterbezimmer reden soll. Er kann ihr ja nicht gut sagen, dass sie ihm mit dem blassen Gesicht und der roten Nase und den Ringen unter den Augen fast noch besser gefällt als in Wirklichkeit. Darüber hätte sie sich ja garantiert nur geärgert.
    »Ich bin total verkühlt«, hat die Soili gesagt.
    Weil sie muss es doch gemerkt haben, dass der Brenner ihr so auf die rote Nase gestarrt hat. Da darf man ihm nicht böse sein, der menschliche Blick geht am liebsten auf die vorspringenden Teile, das ist ein Naturgesetz, und wenn sie dann noch rot sind, ist der Mensch sowieso wehrlos.
    Jetzt hat es aber die Natur beim Mann so eingerichtet, dass ihm das Naturgesetz einen recht blöden Blick verleiht. Ich sage ja immer, da wäre so ein Herrenhut mit einem Schleier die beste Lösung für beide Seiten, weil man sieht dann seine Augen nicht. Aber leider die Ungerechtigkeit, weil es gibt nur Damenhüte mit Schleier, und die Damen dürfen beim Begräbnis ihre verheulten Augen verstecken. Dabei sind verheulte Augen nicht halb so schlimm wie der Naturgesetzblick.
    Und damit wären wir wieder bei der Soili, mit der es die Natur so gut gemeint hat, dass sie mit verheulten Augen und Rotznase sogar noch hübscher geworden ist. Aber nein, es darf trotzdem nicht sein, und wenn sie schon mit ihren verheulten Augen vom Brenner gesehen wird, dann streitet sie es zumindest ab, und: Ich bin total verkühlt.
    Jetzt, was antwortet man auf so eine blöde Ausrede, wenn man die ganze Situation nicht noch zehnmal peinlicher machen will? Keine leichte Aufgabe, aber der Brenner ohne langes Überlegen: »Kein Wunder, wenn Sie in einem R-Monat barfuß gehen.«
    Das war natürlich in dieser verzwickten Situation schon eine eins a Antwort, ich muss ehrlich sagen, mir wäre das nicht eingefallen. Der Brenner hat sich natürlich gefreut, wie der Soili ein leichtes Lächeln ausgekommen ist bei seiner Antwort, frage nicht.
    Du wirst sagen, im Sterbezimmer flirtet man nicht mit der Frau des Sterbenskranken, das gehört sich nicht. Und der Brenner hätte das auch jederzeit unterschrieben. Ist ja auch wirklich wahr, über so eine Selbstverständlichkeit braucht man gar nicht reden, Sterbezimmer ist zu früh.
    Man kann vielleicht beim Leichenschmaus anfangen mit den ersten Komplimenten, man kann, wenn es sein muss, vielleicht während dem Begräbnis die Witwe ein bisschen fester stützen als unbedingt notwendig, dass man ihr, während die Totengräber den Sarg hinunterlassen, vielleicht den Arm ein bisschen um die Taille gleiten lässt, damit sie nicht zusammenklappt, man kann meinetwegen sogar, wenn viel Konkurrenz da ist, schon bei den Begräbnisvorbereitungen mit Rat und Tat zur Seite stehen, dass man, falls der Leichnam im Haus aufgebahrt ist, die Totenwache bis tief in die Nacht hinein hält. Und allerfrühestens kann man in Ausnahmefällen vielleicht auch einmal in dem Moment anfangen, wo die Witwe ihrem Mann zärtlich die Augen schließt, dass man sie unterstützt, und während sie mit dieser sanften Bewegung über seine Augen streicht, kann man da

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