Das ewige Leben
»was«, aber wenn man recht erschreckt, darf man auch einmal »was« sagen.
»Brena abgraz ibermorgen«, hat die Zigeunerin gesagt.
Und vielleicht hat seine Hand auch erst jetzt zu schmerzen angefangen, weil die Zigeunerin diese unvorteilhafte Zukunft herausgelesen hat.
»Das steht in meiner Hand?«
Die Zigeunerin hat ihn ernst angeschaut, da sind sie ja wahnsinnig gut, die Zigeuner, immer mit dem ernsten Blick, und dann hat sie genickt und es noch einmal gesagt: »Brena abgraz ibermorgen.«
Vielleicht sind die Handleserinnen heute auch schon geschult wie die Krebsärzte, dass sie wissen, man muss die Todesnachricht mehrmals wiederholen, sonst vergisst es der Todespappenheimer gleich wieder vor lauter Lebenslust.
Sie hat noch einmal in seiner Hand nachgeschaut, quasi
Gegenprobe, und dann hat sie gesagt: »Ibermorgen Brena abgraz.«
Das klingt natürlich fürchterlich, wenn du es von einer Zigeunerin gesagt kriegst. Und wenn du als moderner Mensch zehnmal über einen lachst, den das erschreckt, ich möchte sehen, wie du dreinschaust, wenn dir wer ganz ernst sagt: »Abgraz ibermorgen.«
Da ist dem Brenner schon kurz vorgekommen, ihm rutscht der Kopf noch ein paar Millimeter weiter auf die falsche Seite. Komischerweise hat ihn für den Moment fast weniger erschreckt, dass ihm der Tod vorausgesagt wird. Aber das Pedantische, dass sie es ihm gar so genau vorausgesagt hat, das ist ihm irgendwie gegen den Strich gegangen. So wie betrogene Eheleute gern sagen, wenn er es mir wenigstens anders gesagt hätte. Da klammert man sich oft an den Nebenhorror, wenn man den Haupthorror nicht aushält, und ich sage, warum auch nicht, wenn es wem hilft.
»Brena abgraz ibermorgen halb finf Uhr frih«, hat die Zigeunerin gesagt. Sie hat ihn angelächelt, als wäre das die beste Nachricht auf der Welt.
»Aha«, hat der Brenner gesagt. »Halb fünf Uhr früh.« Ganz wohl ist ihm nicht gewesen, weil halb fünf Uhr früh war für ihn immer schon die schlechteste Zeit, die es auf der ganzen Welt gibt. Bist du die ganze Nacht auf und fröhlich, wirst du um halb fünf auf einmal nachdenklich und siehst deine ganze Angelegenheit im richtigen Licht. Umgekehrt, wenn du um halb fünf aufstehen musst, sowieso Kopfschuss. Jetzt hat er sich immer schon gut vorstellen können, dass es ihn ausgerechnet um diese Uhrzeit einmal zerreißen wird.
»Abgraz«, hat der Brenner genickt. Er hat sich selber gewundert, dass er sich auf einmal sprachlich anpasst, vielleicht dass man in der Todesstunde sogar in seiner eigenen Heimatstadt ein bisschen auf die Ausländerseite wechselt. »Und wie genau abgraz? Steht das auch drinnen in meiner Hand?«
»Zug.«
»Ah, Zug.« Das hat ihm nicht geschmeckt, jetzt hat er es noch einmal sagen müssen. »Zug, sagst du.«
»Zug.«
Du wirst sagen, da hätte der Brenner doch erleichtert sein müssen, wie er kapiert hat, die Zigeunerin will mir nur sagen, ich soll den Zug nehmen, der um halb fünf Uhr früh ab Graz in Richtung Slowakei geht. Er hätte sich freuen müssen über den Tipp, dass die Zigeuner da in ihr slowakisches Heimatdorf fahren, wo seine Zeugen sich seit dem Mord verstecken.
Aber so ist es, wenn dir der Schreck einmal in den Knochen sitzt. Dann kannst du oft nicht so schnell umschalten. Jetzt ist dem Brenner aufgefallen, dass »Zug« ein hässliches Wort ist. Statt sich zu freuen, dass er mit dem Zug nur von Graz abfahren und nicht abkratzen muss, lässt ihn diese Überlegung nicht mehr los. Zug ein hässliches Wort. Nur drei Buchstaben. Vorne ein »Z« und hinten ein »g«. Und in der Mitte ein »u«. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Wort »Tod«, hat der Brenner sich eingebildet, wo du in der Mitte ein »o« hast, quasi Loch. Dabei hat er da immer noch kein Loch in der Hand gehabt.
Möglich, dass das Loch in seiner Hand schon irgendwo im Weltall herumgeflogen ist, das könnte ich mir vorstellen. Aber das hat noch einen weiten Weg gehabt, frage nicht, bis es dann endlich in der Hand vom Brenner gelandet ist. Da ist dem Brenner vorher noch so viel passiert, dass man sagen muss, das Messer mitten in der Hand dann fast eine angenehme Abwechslung.
8
Aber das hat die Handleserin dem Brenner wieder nicht vorausgesagt. Dass er vor der Abfahrt noch einmal die Soili trifft. Und ob du es glaubst oder nicht, die Soili sogar sehr nett zum Brenner, fast ein bisschen ding.
Du musst wissen, der Brenner hat sich in das Sterbezimmer geschlichen, in das sie den Aschenbrenner inzwischen geschoben haben. Er
Weitere Kostenlose Bücher