Das ewige Lied - Fantasy-Roman
ein Glück“, knurrte Daphnus und zog seinen Umhang fester um sich, denn die scharfen Winde, die hier im Gebirge wehten, zerrten an seiner Kleidung und seinen Haaren. Von den sommerlichen Temperaturen, die in Celane zur Zeit herrschten, war auf der
Schulter des Giganten
nichts zu spüren. Jayel mochte sich gar nicht vorstellen, welche Temperaturen hier im Winter vorherrschten. Zum Glück gab es viele Siedlungen am Wegesrand, so dass die beiden Reisenden sich zusätzliche Umhänge kaufen konnten.
Der Aufstieg war trotz der Handelsroute mühselig und gefährlich, und er nahm geraume Zeit in Anspruch. Als die beiden Gefährten nach fast zwei Wochen den Gipfel erreichten, waren sie restlos erschöpft. Doch ihre Mühen wurden belohnt. Mit offenem Mund standen die junge Bardin und der Magier auf dem Pass und blickten auf die andere Seite der
Schulter des Giganten
hinunter. Vor ihnen breitete sich ein grandioses Panorama aus. Die Gebirgsausläufer tief unter ihnen ragten nicht sehr weit in das Land hinein. Ihnen schloss sich flaches Land an, das fast nur aus Weidegrund zu bestehen schien. Das Gras leuchtete in so intensivem Grün, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatten. Ihm hatte die Region ihren Namen zu verdanken: die grüne Ebene. Sie reichte fast bis zum Horizont, doch dort konnte man einen schmalen, blauen Streifen erkennen: das Meer. Ziel ihrer Reise. Vor diesem Panorama jedoch erhob sich direkt zu ihren Füßen eine Stadt, rotbraun wie das Gebirge auch, und sie fügte sich so geschmeidig in ihre Umgebung ein, dass jedem Beobachter sofort klar war, dass diese Stadt nicht erbaut, sondern einst aus der
Schulter des Giganten
heraus gemeißelt worden war. Sie hatte die Form eines Halbmondes, und die flache Seite war an den Felsen angelagert, während das Halbrund, das vom Berg weg wies, von einer Stadtmauer umschlossen wurde.
„Giganta, die Steinstadt!“, hauchte Jayel erschüttert. So überwältigend hatte sie sich den Anblick nicht vorgestellt.
Als die beiden Reisegefährten die Stadt, die Pferde am Zügel führend, betraten, zogen sie viele Blicke auf sich. Trotz der Handelsstraße, die bis ans Meer reichte, waren die Bewohner von Giganta an den Anblick von Fremden nicht gewöhnt. Und wenn Fremde die Stadt erreichten, waren es Kaufleute und Händler, keine jungen Leute.
Jayel und Daphnus sahen sich staunend um. Giganta war etwa so alt wie Farseth, und doch erschienen ihnen die Mauern der Stadt so alt wie das Gebirge selbst. Die Bewohner, die sie sahen, schienen sich ebenfalls der Umgebung angepasst zu haben. Nicht nur ihre Kleider bestanden aus roten und braunen Stoffen, auch ihr Haar und ihre Haut hatten einen rötlich-braunen Schimmer, so dass es Jayel vorkam, als sei hier alles und jeder mit dem Gebirge harmonisch verwachsen. Alle Menschen schienen sich in diese Harmonie einzufügen: Jayel sah vorwiegend Bauern und Händler, spielende Kinder und friedliches Beisammensein.
Als die beiden Reisenden sich nach einer Unterkunft umsahen, trat ein Wächter auf die beiden zu. „Seid gegrüßt, Fremde. Wer seid ihr und was führt euch nach Giganta?“, fragte er höflich mit einer Verbeugung.
Jayel verbeugte sich ebenfalls: „Gegrüßt seid auch Ihr, Freund. Wir sind im Auftrag der Kaiserin unterwegs auf dem Weg nach Aquien.“
Der Wächter nickte leicht. „Dann folgt mir bitte. Es ist Sitte in unserer Stadt, dass alle Fremden unserem Herrscher, Fürst Macciav, ihre Aufwartung machen.“ Damit wandte sich der Wächter um und ging vor ihnen her.
Daphnus ergriff Jayel am Arm: „Müssen wir das wirklich? Wir haben doch kaum Zeit...“
Jayel zuckte die Schultern und meinte: „Wenn es Sitte ist, sollten wir dem Wächter folgen. Ich repräsentiere die Kaiserin – ich meine, wir repräsentieren die Kaiserin, und da sollten wir nicht unangenehm auffallen.“ So folgten die beiden dem Wächter durch die verwinkelten Straßen der Stadt.
Bald bemerkte Jayel, dass sie sich dem Teil näherten, der sich an das Gebirge anschmiegte. Von ihrem jetzigen Standpunkt konnte sie sehen, dass diese Rückseite der Stadt ein riesiges Gebäude war, das jedoch nicht, wie die anderen Gebäude der Stadt, aus dem Fels heraus gehauen war, sondern in den Fels hinein. Man sah Fenster, Balkone und Treppen, und Jayel fragte sich, wie lange es gedauert hatte, allein diesen Bau fertigzustellen.
„Was ist das für ein Gebäude?“, fragte Jayel den Wächter.
„Das ist der Palast“, gab er zu Antwort. „Dort werdet ihr bereits von Fürst
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