Das ewige Lied - Fantasy-Roman
waren in Lebensgröße an die Decke gemalt, genau über den Ecken der Plattform, die den Kanalöffnungen gegenüber lagen. In der Mitte stand eine bunte Gestalt mit einem größeren Stein, zu deren Füßen eine durchscheinende, helle Gestalt saß oder lag.
„Das muss die Höhle des Rituals sein“, flüsterte Jayel.
„Und die Gebrauchsanleitung haben sie gleich an die Decke gepinselt“, stellte Tiark trocken fest, „dann fehlt uns eigentlich nur noch der fünfte Kristall, und wir können beginnen.“
Jayel sah hinüber zu der Plattform. Dort war niemand – zweifelsfrei. Aber vielleicht in einem der anderen Gänge..? Entschlossen überquerte Jayel den schmalen Steg und betrat die Plattform. Die anderen folgten ihr. „Wartet hier auf mich“, sagte Jayel. „Nehmt schon einmal eure Plätze ein. Ich gehe weiter und suche die Kaiserin!“
„Ich begleite dich“, sagte Daphnus und trat einen Schritt auf sie zu, „ich habe hier ja ohnehin nichts zu tun.“ Jayel nickte, und die beiden verließen den Raum durch den Ausgang, der dem Eingang gegenüberlag, durch den sie gekommen waren.
Wieder passierten sie einen feuchten Gang, der schließlich in eine Höhle mündete. Sie war leer, doch Jayel und Daphnus erkannten Spuren auf dem Boden, so dass sie ihnen mühelos folgen konnten. Sie gingen einen weiteren Gang entlang, und erreichten schließlich in eine kleinere Höhle. Hier fanden sie einige Möbelstücke, wie ein Bett, einen Schrank und einen Tisch.
Daphnus zog die Augenbrauen hoch, aber Jayel erklärte: „Ich verstehe! Das ist ein geheimer Raum, in den sich die Kaiserin flüchten kann, falls Gefahr droht. Still! Hörst du nichts?“ Jayel legte einen Finger vor den Mund und lauschte angestrengt. Nebenan schien es eine weitere Höhle zu geben, und von dort klangen eindeutig Stimmen herüber. Eilig ging Jayel um einen Felsvorsprung herum, der ihnen bisher die Sicht auf den Ausgang verwehrt hatte und betrat die Nachbarhöhle. Dort befanden sich ein großer Sekretär, hinter dem ein Stuhl stand, einige der weißgekleideten Palastwachen und – die Kaiserin.
„Majestät!“, rief Jayel, lief zu ihr hin und machte einen hastigen Hofknicks. Sie sah zu der Großkaiserin auf.
Cwell schien um Jahre gealtert: Sie war abgemagert, ihre Haare hingen wirr in die Stirn und sie hatte eine große Platzwunde am Kopf. Trotzdem glomm in ihren Augen noch immer eine unheimliche Energie. „Jayel!“, rief sie und konnte ihr Erstaunen nicht verbergen. „Wir dachten, du wärst tot ... und auch der junge Magier, der wie ich sehe, ebenfalls unversehrt ist“, setzte sie mit einem Blick auf Daphnus hinzu, der hinter Jayel etwas langsamer den Raum betreten hatte.
„Majestät, die Zeit drängt!“, rief Jayel. „Ich berichte ein anderes Mal von meiner Reise. Es ist unbedingt nötig, dass ihr...“
„Ihr vergesst das Protokoll, junge Bardin“, sagte Cwell kühl und richtete sich auf. „Niemand spricht in einem solchen Ton mit der Kaiserin, unter keinen Umständen, hörst du?“ Jayel verstummte erschrocken. Wie konnte die Kaiserin in so einer Situation an das Protokoll denken?
„Aber Majestät“, mischte sich Daphnus ein, und Jayel hörte an seiner Stimme, dass er sich stark beherrschen musste, um die Kaiserin nicht anzuschreien. „Der Feind ist bereits in der Stadt. Wir müssen ein Ritual durchführen...“
„Eure magischen Rituale helfen jetzt auch nichts mehr“, unterbrach Cwell und ließ sich auf dem Stuhl nieder. „Sie haben uns in der großen Schlacht nichts genutzt und es gibt auch jetzt nichts mehr, was Celane retten kann“, sagte sie leise.
„Doch, Majestät“, sprudelte Jayel heraus, „euer Kristall, der Kristall der Macht...“
Cwells Kopf ruckte hoch. „Was weißt du von dem Kristall?“, zischte sie feindlich, doch dann mischte sich Erkenntnis in ihre Augen: „Ah, ich verstehe – die Aquanten haben dir davon erzählt. Untreues Pack – wo doch niemand außer der kaiserlichen Familie davon erfahren darf. Aber ... du bringst mich auf eine Idee ... ja, der Kristall wird meine letzte Waffe sein! Mit seiner großen Macht kann ich den dunklen Herrscher und die gesamten Südreiche vernichten!“
Cwell griff während sie sprach an ihren Hals und holte eine dünne, silberne Kette hervor. An der Kette hing der fünfte Kristall und schimmerte in allen Farben des Regenbogens.
Jayel starrte ihn an und sagte dann erschrocken: „Nein Majestät, das dürft ihr nicht!“ Sie erkannte die Kaiserin gar nicht
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