Das ewige Lied - Fantasy-Roman
musizieren. Kallabul und Tiark hatten sich in ihren Reisedecken eingerollt und schienen bereits zu schlafen; Daphnus saß im Schneidersitz am Lagerfeuer und hatte sein Buch vor sich aufgeschlagen. Konzentriert starrte er auf die Seiten, und Jayel wagte ihn nicht zu stören. Plötzlich kam ihr eine Idee. Vielleicht konnte sie die Elfen durch Musik auf sich aufmerksam machen? Vorsichtig warf sie einen Blick auf ihre Begleiter, erhob sich dann leise und ging zum Tümpel hinüber. Sie holte tief Luft und lauschte in sich hinein. Welches Lied wäre passend? Jayel stand mit geschlossenen Augen am Ufer des Tümpels, vollkommen in das Mondlicht getaucht. Plötzlich nahm sie mit allen Sinnen ihre Umgebung überdeutlich wahr: Der kühle Nachtwind, der ihr über Gesicht und Haare strich, das Laub und die kleinen Äste unter ihren nackten Füßen, der Geruch von Bäumen, Blättern und dem etwas abgestandenen Wasser des Tümpels, das Zirpen der Grillen und das Quaken der Frösche und das Rauschen des Windes in den Bäumen. Jayel schluckte und schmeckte den leichten Geschmack von Erde, den sie immer bekam, wenn sie lange Zeit im Freien verbrachte. Und dann, urplötzlich, hörte sie etwas...
Erneut wurde die Bardin, wie schon in der Ratshalle der Erdmenschen, von einer ihr bisher unbekannten Melodie erfüllt, die sie ohne zu zögern anstimmte. Sie kannte keinen Text dazu und sang einfach die Melodie, so dass ihre klare Stimme die Nacht durchdrang und sich in scheinbar perfekter Harmonie in den Wald einfügte.
Jayel nahm ihre Umgebung wahr, wie die Komposition eines Künstlers: Der Tümpel, die Bäume, der Mond und dazwischen die Melodie, die eben jenes Bild zusätzlich beschrieb. Worte schienen für diese Melodie vollkommen überflüssig, und die junge Bardin erfreute sich an dem Spiel der Töne, das ihr durch eine ihr unbekannte Macht eingegeben wurde. Und plötzlich wurde ihr bewusst, dass dies wohl die erste Musik sein musste, jenes uralte Lied, dass vor den Menschen und Tieren bereits existiert hatte und durch die Welt geschwebt war, auf der Suche nach jemandem, der es sänge. Schließlich musste sich Jayel mit Gewalt zwingen, aufzuhören. Obwohl sie über eine Stunde gesungen hatte und ihr Hals schon schmerzte, wusste sie, dass das Lied eigentlich noch nicht zu Ende war. Sie war sich sicher, dass es eigentlich endlos war und dass sie sich, wenn sie es noch länger sänge, einfach in den Tönen verlieren würde. Seufzend blickte Jayel zum Mond auf, der inzwischen ein ganzes Stück seines Weges am Nachthimmel hinter sich gebracht hatte. Der Tümpel lag still da und auch sonst regte sich nichts im nächtlichen Wald. Die Elfen hatten sich durch ihren Gesang nicht locken lassen, doch Jayel war trotzdem froh, dass sie auf diese Weise, an diesem der Welt entrückten Ort das Ewige Lied kennengelernt hatte. Nur wenige Barden, das wusste sie, fanden den Weg zu dieser Melodie.
Jayel wandte sich um – und wäre vor Schreck beinahe rückwärts in den Teich gestürzt. Direkt hinter ihr, keine Armeslänge entfernt, stand ein Elf. Er war hochgewachsen, sehr dünn und überragte sie um fast einen Schritt. Seine weiße Haut reflektierte das Mondlicht, so dass es ihr zuerst erschien, als leuchte der Fremde. Auch sein Haupthaar, das ihm bis zu den Hüften herabreichte, war von reinstem Weiß. Seine lange Tunika schien aus Seide gefertigt zu sein, doch als Jayel genauer hinsah, erkannte sie, dass sie aus Spinnweben bestand. Der Elf blickte sie aus violetten Augen an.
„Du singst sehr schön“, sagte er schließlich, und Jayel erschauerte, als sie seine Stimme hörte; sie klang wie tausend feine Glöckchen, die aneinander schlugen. Kein Wunder, schoss es ihr durch den Kopf, dass es hieß, der Gesang der Elfen könne die Menschen in ihr Reich hinüber locken.
„D ... D ...danke“, stotterte die Bardin, noch immer erschrocken vom plötzlichen Auftauchen des Elfen. Dann fasste sie sich: „Wir haben euch gesucht. Wir müssen unbedingt mit eurem ... Anführer sprechen. Es geht um das Schicksal der Welt!“ Oh mein Gott, dachte Jayel, immer schön dramatisch bleiben – um was sollte es wohl auch sonst gehen? Guten Tag, wir wollen die Welt retten, habt ihr Lust, uns zu helfen? Sie hätte sich selbst ohrfeigen können.
Der Elf jedoch nickte: „Wir haben euch bereits erwartet. Morgen früh, wenn ihr ausgeruht seid, werden wir euch abholen und zu unserer hohen Herrin führen. Sie wird euch prüfen und entscheiden, ob ihr das Kristall der Luft
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