Das Exil Der Königin: Roman
erzählte der Sergeant. Er gehörte offenbar zu den Leuten, die es genossen, schlechte Nachrichten weiterzuverbreiten. »Einige sagen, sie wäre weggelaufen. Aber ich halte es für unmöglich, dass sie von allein abgehauen sein soll.«
Das war es also, dachte Han und fühlte sich sofort besser. Diese besondere Gründlichkeit hatte gar nichts mit ihnen zu tun.
Aber die Blaujacke war noch nicht fertig. Der Mann sah sich um, als wollte er sich vergewissern, dass er Unterstützung hatte. Dann sagte er: »Manche behaupten, es wären welche von euch gewesen, die sie sich geholt haben. Die Kupferköpfe.«
»Das macht aber doch gar keinen Sinn«, antwortete Dancer. »Die Prinzessin hat über ihren Vater Clan-Blut in den Adern und drei Jahre im Demonai-Camp gelebt.«
Die Blaujacke schnaubte. »Nun, sie ist jedenfalls nicht in der Hauptstadt, so viel steht fest. Könnte sein, dass sie diesen Weg nimmt; deshalb müssen wir alle überprüfen, die hier durchkommen. Die Königin hat dem, der sie findet, eine große Belohnung versprochen.«
»Wie sieht sie denn aus?«, fragte Dancer, als hätte die große Belohnung sein Interesse geweckt.
»Sie ist auch ein Mischling«, sagte die Blaujacke, »aber sie soll trotzdem hübsch sein, habe ich gehört. Sie ist klein, hat lange, dunkle Haare und grüne Augen.«
Wie aus dem Nichts wurde Han von der Erinnerung an die grünäugige Rebecca Morley überwältigt, die einfach ins Wachhaus von Southbridge marschiert war und drei Mitglieder der Ragger-Straßengang aus der Gewalt von Mac Gillen befreit hatte. Die Beschreibung würde auf Rebecca passen. Wie auf tausend andere Mädchen auch.
Seit sein Leben zerbrochen war, hatte Han nicht mehr an Rebecca gedacht. Oder jedenfalls nicht mehr viel.
Der Sergeant kam endlich zu dem Schluss, dass er sie lange genug aufgehalten hatte. »Also gut, zieht weiter. Aber südlich von Delphi solltet ihr auf euch aufpassen, denn da wird heftig gekämpft.«
»Danke, Sergeant«, sagte Dancer gerade, als sich eine neue Stimme in die Unterhaltung einmischte. Eine Stimme, die so scharf und kalt war wie eine Messerklinge.
»Was ist da los, Sergeant? Was soll die Verzögerung?«
Han hob den Blick und sah ein Mädchen auf einem Pferd auf sie zukommen. Sie war etwa in seinem Alter und drängte das Tier auf eine Weise durch die vielen Leute, die sich zu Fuß am Tor versammelt hatten, als würde sie sich nicht im Geringsten darum kümmern, ob ein paar dadurch niedergetrampelt wurden.
Er konnte nicht aufhören, sie anzustarren. Noch nie hatte er ein Mädchen gesehen, das so aussah wie sie. Ihre platinfarbene, ja, fast weiße Mähne, die durch eine rote Strähne besonders betont wurde, war zu einem einzigen langen Zopf zusammengebunden, der ihr bis zur Taille reichte. Die Augenbrauen und Wimpern des Mädchens waren so hell wie Pappelflaum, die Augen selbst von einem blassen, porzellanartigen Blau, als wäre der Himmel gerade von einem Regenschauer gereinigt worden. Ein Nimbus aus Licht umgab sie – der Beweis von Macht, die frei und nicht kanalisiert umherströmte.
Das Mädchen ritt auf einem grauen Flatland-Hengst, der genauso blaublütig war wie sie selbst, und sie saß so aufrecht und hoch im Sattel, als wollte sie ihre ohnehin schon beachtliche Größe noch weiter in die Länge strecken. Ihre knochigen Gesichtszüge wirkten irgendwie vertraut. Sie hatte kein sonderlich hübsches Gesicht, aber es war klar, dass man es nicht so schnell vergessen würde, wenn man es einmal gesehen hatte. Besonders dann nicht, wenn ein Stirnrunzeln darauf lag. Wie es jetzt der Fall war.
Die kurze Jacke und die geteilten Reitröcke des Mädchens bestanden aus vorzüglichem Material und waren mit Leder gesäumt. Die Magierstolen über ihren Schultern trugen das Emblem des Jagenden Falken, und um den Hals glühte ein Amulett an einer schweren Goldkette. Ein Falke mit einem Singvogel in seinen Klauen.
Han zitterte; sein Körper reagierte schneller als sein träger Geist. Der Jagende Falke. Dieses Emblem gehörte …
»Ich … es tut mir leid, Lady Bayar«, stotterte der Sergeant. Schweißperlen glänzten trotz der kühlen Luft auf seiner Stirn. »Ich habe nur diese Händler befragt. Um mich zu vergewissern.«
Bayar. Das war es, woran das Mädchen Han erinnerte – an Micah Bayar. Er hatte den Sohn des Hohemagiers nur ein einziges Mal gesehen, und zwar an dem Tag, als Han das Amulett an sich genommen hatte, das sein Leben für immer verändern sollte. In welcher Beziehung stand
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