Das Exil Der Königin: Roman
Lady Bayar zu Micah? Sie sah aus, als wäre sie genauso alt wie er. War sie seine Schwester? Seine Cousine?
»Nimm dein Amulett in die Hand«, murmelte Dancer zu Han und schob seine eigene Hand unter seine Wildlederjacke. »Wenn es deine Macht in sich aufsaugt, bemerken sie deine Aura vielleicht nicht.«
Han nickte und griff nach dem magischen Schlangenstab unter seinem Hemd.
»Wir suchen ein Mädchen , Idiot«, sagte Lady Bayar, während ihre blassen Augen zu Han und Dancer hinüberschossen. »Ein dunkelhäutiges, zwergenhaftes Mädchen. Wieso verschwendest du deine Zeit mit diesen beiden Kupferköpfen?« Sie benutzte den Namen, mit dem die Leute aus dem Vale die Clan-Mitglieder abschätzig bezeichneten.
Die beiden Wachen, die Hans und Dancers Pferde festhielten, ließen die Tiere sofort los.
»Fiona. Pass auf, was du sagst.« Ein anderer Magier zügelte sein Pferd neben der jungen Lady Bayar, ein älterer Junge, der strohfarbene Haare und einen Körper hatte, der von zu vielen Exzessen bereits fleischig geworden war. Auf seinen beiden Magierstolen war das Emblem einer Distel zu sehen.
»Was denn?« Fiona funkelte ihn an, und unter ihrem Blick wand er sich wie ein Hündchen.
Entweder ist er in sie verliebt oder er hat Angst vor ihr, dachte Han. Vielleicht auch beides.
»Fiona, bitte.« Der junge Magier räusperte sich. »Ich würde Prinzessin Raisa nicht als zwergenhaft bezeichnen. Tatsächlich ist die Prinzessin ziemlich …«
»Wenn nicht zwergenhaft, was dann?«, unterbrach Fiona ihn. »Mickrig? Ein Stummel?«
»Nun, ich …«
»Und sie ist dunkelhäutig, oder nicht? Sogar ziemlich, was an ihrem Mischlingsblut liegt. Komm schon, Wil, es stimmt.« Fiona schien nicht gut damit klarzukommen, dass man sie berichtigte.
Han musste sich Mühe geben, sich seine Verblüffung nicht anmerken zu lassen. Er war zwar auch kein Anhänger der Königin und ihres Ahnengeschlechts, aber er hätte nicht gedacht, dass jemand von den Bayars so reden würde.
Fiona verdrehte die Augen. »Es ist mir schleierhaft, was mein Bruder an ihr findet. Aber sicherlich kannst du Frauen besser beurteilen als ich.« Sie schenkte Wil ein Lächeln, in das sie all ihren Charme legte. Han begriff jetzt, was der Magier an ihr fand.
Wil errötete, und seine Haut nahm die Farbe eines dunklen Pinktons an. »Es ist nur … ich denke, wir sollten ihr etwas Achtung entgegenbringen«, flüsterte er und beugte sich so nah zu ihr hin, dass der Sergeant nicht hören konnte, was er sagte. »Immerhin ist sie die Erbin des Grauwolf-Throns.«
Dancer lenkte sein Pferd weiter; er hoffte, die Grenze passieren zu können, während die Magier mit sich selbst beschäftigt waren. Han drückte Ragger die Knie in die Flanken und folgte ihm mit geneigtem Kopf und abgewandtem Gesicht. Sie waren schon an den Magiern vorbei, standen gerade im Tor und hatten es fast geschafft, als …
»Ihr da! Wartet!«
Es war Fiona Bayar. Han fluchte insgeheim, ehe er sein Straßengesicht aufsetzte und sich im Sattel umdrehte. Fiona starrte ihn geradewegs an.
»Sieh mich an, Junge!«, befahl sie.
Han sah auf und blickte in ihre porzellanblauen Augen. Das Amulett knisterte in seinen Fingern, und noch ehe er selbst wusste, was er tat, sagte er mit gerecktem Kinn: »Ich bin kein Junge, Lady Bayar. Nicht mehr.«
Fiona saß wie versteinert da und starrte ihn an, während sie die Zügel fest in der einen Hand hielt. Ihre Kehle bewegte sich, als sie schluckte. »Nein«, sagte sie und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Du bist kein Junge. Aber du klingst auch nicht wie einer von den Clans.«
Wil streckte die Hand nach ihr aus und berührte sie am Arm, als wollte er ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken. »Kennst du diesen … Händler , Fiona?«, fragte er mit vor Verachtung triefender Stimme.
Aber sie starrte einfach nur weiter Han an. »Du bist gekleidet wie ein Händler«, flüsterte sie fast wie zu sich selbst. »Es ist Clan-Kleidung, und doch hast du eine Aura.« Sie sah auf ihre eigenen glühenden Hände und blickte dann wieder in sein Gesicht. »Beim Blute und den Gebeinen, du hast eine Aura .«
Han sah an sich hinunter und stellte zu seinem großen Schrecken fest, dass die in ihm lodernde Magie entsetzlich sichtbar war, selbst hier im hellen nachmittäglichen Licht. Er schien sogar noch mehr als sonst zu leuchten, da die Macht unter seiner Haut so glitzerte wie Sonnenlicht auf Wasser.
Aber das Amulett hätte die Macht auslöschen oder aufsaugen müssen.
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