Das fahle Pferd
– Den Rest wissen Sie.«
Dr. Corrigan nickte; er klopfte mit dem Finger auf den schmutzigen Zettel.
»Was halten Sie hiervon?«, fragte er.
»Mir scheint es sehr wichtig«, erklärte Lejeune.
»Sie meinen also, die Sterbende habe dem Priester etwas erzählt, und er schrieb die Namen rasch auf, um sie nicht zu vergessen? Die Frage ist bloß: Was konnte er damit anfangen, wenn sie ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurden?«
»Das braucht nicht unbedingt der Fall gewesen zu sein, auch wenn es sich um einen Priester handelt«, meinte Lejeune lebhaft. »Nehmen wir zum Beispiel an, diese Namen stünden mit… hm… Erpressung in Zusammenhang…«
»Oh, das vermuten Sie also?«
»Ich habe noch keine direkte Vermutung! Vorläufig stelle ich nur eine Hypothese auf. Also: Die Leute auf dieser Liste wurden erpresst; die sterbende Frau war entweder selbst die Erpresserin oder sie hatte irgendwie davon erfahren. Vielleicht hat sie in letzter Minute bereut und gestanden, oder sie wollte so viel wie möglich wieder gutmachen. Pater Gorman übernahm diese Aufgabe.«
»Und dann?«
»Keine Ahnung«, erklärte Lejeune achselzuckend. »Vielleicht handelt es sich um eine sehr einträgliche Sache und jemand wollte nicht, dass diese Geldquelle versiegt. Dieser Jemand wusste außerdem, dass Mrs Davis im Sterben lag und nach einem Priester geschickt hatte. Das Übrige ergibt sich von selbst.«
»Ich frage mich nun«, überlegte Corrigan und studierte den Zettel noch einmal, »weshalb bei den beiden letzten Namen ein Fragezeichen steht?«
»Vielleicht war Pater Gorman nicht sicher, ob sie wirklich so lauteten.«
»Hm – möglich. Statt Corrigan könnte es zum Beispiel mit Leichtigkeit Mulligan heißen«, gab der Arzt grinsend zu. »Aber bei Delafontaine wird die Sache schon schwieriger. Da hören die Ähnlichkeiten rasch auf. Und seltsam, dass nicht eine einzige Adresse dabeisteht.« Wieder überflog er die Liste. »Parkinson… gibt es eine Unmenge, Sandford… ist auch nicht so ungewöhnlich. Hesketh-Dubois… das gibt schon eher zu denken.«
Mit einem plötzlichen Entschluss lehnte sich der Doktor vor und nahm das Telefonbuch vom Schreibtisch.
»Wollen mal sehen. Hesketh, Mrs A… John und Co. Spengler… Sir Isidore… Ah! Hier haben wir’s! Hesketh-Dubois, Lady, Ellesmereplatz neunundvierzig. Wie wär’s, wenn wir die Dame anrufen würden?«
»Mit welcher Begründung?«
»Ach, uns wird schon was einfallen«, meinte der Arzt leichthin.
»Also los!«, ermunterte Lejeune.
»Was?« Corrigan starrte ihn verblüfft an.
»Vorwärts. Sie wollten es doch so haben.« Lejeune lächelte mild. Er hob den Hörer ab und schaute Corrigan fragend an.
»Wie lautet die Nummer?«
»Grosvenor 645 78.«
Lejeune wiederholte die Angabe und schob dann den Hörer zum Doktor hinüber. »Viel Vergnügen«, bemerkte er dazu.
Corrigan machte ein etwas betretenes Gesicht, während er auf den Anschluss wartete. Es läutete ein paar Mal, ehe jemand abnahm. Dann erklang eine Frauenstimme, außer Atem, wie es schien.
»Hier Grosvenor 645 78.«
»Bin ich mit dem Haus von Lady Hesketh-Dubois verbunden?«
»J-ja… nun… ich meine…«
Dr. Corrigan überhörte das unsichere Gestammel.
»Kann ich bitte mit der Dame selbst sprechen?«
»Aber – nein, das ist unmöglich! Lady Hesketh-Dubois ist im April gestorben.«
»Oh!« Dr. Corrigan war so überrascht, dass er die Frage »Wer ist am Apparat?« unbeachtet ließ und sachte den Hörer niederlegte.
Kühl blickte er den Inspektor an.
»Also deshalb waren Sie so rasch zu dem Anruf bereit!«
Lejeune lächelte spöttisch. »Glauben Sie denn wirklich, wir kümmern uns nicht um das Nächstliegende?«
»Im April gestorben«, meinte Corrigan gedankenvoll, »also vor fünf Monaten. Also für einen Erpresser kaum mehr von Interesse. Sie hat doch nicht etwa Selbstmord begangen oder etwas Ähnliches?«
»Nein, sie starb an einem Gehirntumor.«
»Das bedeutet also, dass wir ganz von vorn anfangen müssen«, bemerkte Corrigan und betrachtete die Liste.
Lejeune seufzte. »Wir wissen überhaupt nicht, ob diese Namen etwas mit der Sache zu tun haben«, betonte er. »Es könnte sich ebenso gut um eine ganz gewöhnliche Prügelei an einem nebligen Abend handeln – und dann hätten wir sehr wenig Hoffnung, den Verbrecher ausfindig zu machen… es sei denn, wir vertrauen auf unser Glück.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich noch etwas mit dieser Liste beschäftige?«,
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