Das Falsche Gewicht
dem Gasthof stellte er sich selbst auf, mit seinem Ofen, mit seinen Kastanien. Es roch sofort im ganzen Ort nach Herbst. Es roch nach dem Schafspelz Sameschkins, nach verbrannten Kohlen, am stärksten nach den gebratenen Maroni. Ein Dunst, zusammengesetzt aus all den Gerüchen, zog durch den Flecken wie ein Bote, Sameschkins Ankunft anzukündigen.
Eine Stunde später auch kamen die Leute aus Szwaby, gebratene Kastanien einzukaufen. Es sammelte sich ein Haufen um Sameschkin, und er verkaufte Kastanien, gebratene und rohe. In der Mitte des Haufens glühten die roten Kohlen, auf denen die Kastanien lagen. Es war kein Zweifel mehr, der Winter begann. Der Winter begann in Szwaby.
Der Winter begann. Und damit begann auch das Leid des Eichmeisters Eibenschütz.
XXVI
Ja, damals begann das große Leiden des Eichmeisters Anselm Eibenschütz.
»Du kannst nicht mehr hier wohnen bleiben«, sagte ihm eines Nachts Euphemia, »Sameschkin ist gekommen, du weißt!«
»Was geht mich Sameschkin an, was geht dich Sameschkin an?« fragte er.
»Sameschkin«, sagte sie, »kommt jeden Winter. Ihm gehöre ich eigentlich.«
»Deinetwegen«, antwortete der Eichmeister Eibenschütz, »habe ich mein Haus, mein Weib und das Kind aufgegeben.« (Er wagte nicht zu sagen: mein Kind.) »Und jetzt«, fuhr er fort, »willst du mich fortschicken?«
»Es muß so sein!« sagte sie.
Sie saß aufrecht im Bett. Der Mond leuchtete scharf durch die runden Luken der Fensterläden. Er betrachtete sie. Niemals hatte er sie so gierig betrachtet. Im Mondlicht erschien sie ihm begehrenswert, als hätte er sie noch niemals vorher nackt gesehen. Er kannte sie genau, jeden Zug an ihrem Körper, noch besser als die Züge ihres Angesichts. Warum jetzt? sagte er sich. Warum überhaupt? Ein großer Zorn gegen die Frau erhob sich in ihm. Aber je zorniger er wurde, desto kostbarer erschien sie ihm auch. Es war, als machte sie sein Zorn mit jeder Sekunde reizvoller. Er richtete sich ganz auf, faßte sie an den Schultern, ihr Körper leuchtete, er drückte sie mit übermäßiger Gewalt nieder. So hielt er sie eine Zeitlang fest in den Kissen. Er wußte, daß er ihr weh tat, sie stöhnte nicht einmal, und das erbitterte ihn heftiger. Er stürzte sich über sie, er hatte das wonnige Gefühl, daß er sie zerstörte, während er sie liebte. Einen Laut des Schmerzes wollte er hören, er wartete darauf. Sie blieb still und kalt, es war, als schliefe er nicht mit Euphemia, sondern mit einem fernen Abbild von ihr. Wo war sie eigentlich? Sie lag schon unten, in den Armen Sameschkins. »Sag etwas«, bat er sie. Sie schwieg, wie um seine Vorstellung, daß sie nur ein Bild sei, vollkommen zu machen. – »Warum sagst du nichts?« – »Ich weiß nicht, ich habe schon alles gesagt!« – »Willst du wirklich mit Sameschkin leben?« – »Ich muß!« – »Warum mußt du?« – »Ich weiß nicht.« – »Soll ich fortgehen?« – »Ja!« – »Liebst du mich nicht?« – »Ich weiß nicht.« – »Liebst du Sameschkin?« – »Ich gehöre ihm.« – »Warum?« – »Ich weiß nicht.«
Sie wandte sich von ihm ab. Sie schlief sofort ein. Es war, als sei sie weit weggefahren, ohne Abschied.
Er lag lange wach und sah den Mond durch die Luke und kam sich sinnlos und töricht vor. Sein ganzes Leben war sinnlos. Welch ein böser Gott hatte ihn zu Euphemia gebracht? Bald glaubte der Eichmeister Eibenschütz, daß er irre geworden sei, nur weil ihm der Satz eingefallen war: »Wer regiert denn überhaupt die Welt?« – Seine Furcht war so groß, daß er, wie um ihr zuvorzukommen und sein Schicksal selbst zu erfüllen, sich im Bett aufrichtete und laut den Satz aussprach: »Wer regiert eigentlich die Welt?« – Er war ähnlich einem Menschen, der aus Angst vor dem Tode einen Versuch unternimmt, sich zu töten. Aber er lebt weiter und fragt sich: Bin ich eigentlich schon tot? – Bin ich eigentlich schon wahnsinnig?
Er erhob sich sehr früh. Euphemia schlief noch. Er betrachtete sie noch einmal lange, das schlafende Abbild der fernen Euphemia. Sie schlief, die Hände über dem Nacken verschränkt, in einer ungewöhnlichen Lage, und es sah beinahe so aus, als wüßte sie, daß er sie betrachtet.
Er wusch und rasierte sich, gewissenhaft wie jeden Morgen. Er war gewohnt, von seiner Dienstzeit her, des Morgens eine halbe Stunde an nichts anderes zu denken als an die Zubereitung seines Gesichts. Er putzte Rock, Weste und Hose. Er benahm sich dabei sehr behutsam, um Euphemia nicht zu wecken. Er
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