Das Falsche Gewicht
Sameschkin.
Endlich, es war schon spät in der Nacht, kamen sie beide an den Tisch, Euphemia und Sameschkin. Sie kamen, Arm in Arm, die Treppe hinunter. Arm in Arm traten sie an den Tisch. Sie erinnerten an Bruder und Schwester. Eibenschütz bemerkte plötzlich, daß sie beide die gleichen schwarzblauen Haare hatten.
Es war ihm auf einmal, als begehrte er die Frau nicht mehr aus Liebe wie bisher, sondern aus Haß. Sameschkin lächelte, gutherzig und mit allen seinen weißen Zähnen, wie immer. Indessen reichte er freigiebig seine rostbraune, große, starke Hand. Es sah aus, als verteile er Spenden.
Er setzte sich. In seiner nicht leicht begreiflichen Sprache erzählte er, daß er heute gute Geschäfte gemacht hatte. Sogar aus Zlotogrod wäre man zu ihm gekommen, rohe Kastanien zu kaufen.
Euphemia saß zwischen den Männern. Sie schwieg, sie war stumm, einer Blume ähnlich, die man an einen Tisch gesetzt hat, statt sie auf ihn zu stellen.
Eibenschütz betrachtete sie fortwährend. Er versuchte, ihrem Blick, einmal wenigstens, zu begegnen, aber es gelang ihm nicht. Ihre Augen gingen irgendwo in der Weite spazieren. Weiß Gott, woran sie denken mochte!
Sie begannen aufs neue zu spielen, und Eibenschütz gewann immer wieder. Er schämte sich ein bißchen, während er das Geld einsteckte. Immer noch saß Euphemia am Tisch, eine stumme Blume. Sie leuchtete und schwieg.
Ringsum herrschte der gewöhnliche Lärm, den die Deserteure verursachten. Sie hockten auf dem Boden und spielten Karten und würfelten. Sobald sie alles verspielt hatten, begannen sie zu singen. Sie sangen, wie gewöhnlich, das Lied: »Ja lubyl tibia«, falsch und mit krächzenden Stimmen.
Schließlich erhoben sich Euphemia und Sameschkin. Arm in Arm gingen sie hinauf, und der arme Eichmeister Eibenschütz sah ihnen ohnmächtig nach. Es kam ihm schließlich in den Sinn, daß er hierbleiben müßte. Ja, hierbleiben! Er hatte schon ein wenig getrunken, der Eichmeister Eibenschütz. Es schien ihm plötzlich, daß er Sameschkin verdrängen könnte, wenn er nur hierbliebe, einfach im Hotel bliebe. Auch graute es ihm entsetzlich vor der Rückkehr, obwohl er gewiß war, daß er seine Frau nicht sehen würde noch ihr Kind, das Kind des Schreibers Nowak. Plötzlich erschien ihm auch der Wachtmeister Slama sehr vertraut. Zu ihm sagte Eibenschütz: »Sagen Sie, soll ich hierbleiben?« Der Gendarm dachte nach und griff an den Kopf, und es war, als nähme er den Helm noch einmal ab, den er natürlich längst abgelegt hatte.
»Ich glaube, Sie sollten hierbleiben«, sagte er schließlich nach einigem Nachdenken. Und der Eichmeister Eibenschütz blieb in der Grenzschenke.
Später, ein paar Wochen später, wußte er selbst nicht mehr, weshalb er den Gendarmen Slama um Rat gefragt hatte und weshalb er in der Grenzschenke geblieben war.
Es ging dem Eichmeister Eibenschütz überhaupt sehr schlecht in dieser Zeit. Der Winter kam.
Vor diesem Winter hatte Eibenschütz Angst.
XXVIII
Ach, was war das für ein Winter! Seit Jahren hatte man dergleichen nicht gesehen! Er kam plötzlich daher, wie ein ganz großer, scharfer Herr daherkommt, mit Peitschen. Der Fluß Struminka gefror sofort, an einem Tage. Eine dicke Eisschicht überzog ihn plötzlich, als hätte sie sich nicht aus dem Wasser selbst gebildet, sondern als wäre sie von irgendwoher gekommen, Gott weiß woher.
Nicht nur, daß die Spatzen tot von den Dächern fielen, sie erfroren auch mitten im Flug. Sogar die Raben und die Krähen hielten sich dicht in der Nähe der menschlichen Behausungen auf, um nur ein bißchen Wärme zu ergattern. Vom ersten Tage an hingen die Eiszapfen groß und stark von den Dächern. Und die Fenster sahen aus wie dicke Kristalle.
Ach, wie einsam war da der Eichmeister Eibenschütz! Den und jenen kannte er, zum Beispiel den Wachtmeister Slama und den Kaufmann Balaban und den kleinen Kapturak. Aber was bedeuteten sie alle! In seiner riesengroßen Einsamkeit erschienen ihm die paar Menschen, die er kannte, wie verlorene Fliegen in einer eisigen Wüste. Er war sehr unglücklich, der Eichmeister Eibenschütz. Auch suchte er gar nicht mehr nach den Menschen. Und er fühlte sich beinahe wohl in seiner Wüste.
Jetzt wohnte er wieder in der Schenke. Er wohnte wieder in der Nähe Euphemias. Ja, er stand sehr früh auf, um sie kommen zu sehen. Sie kam früher als Sameschkin. Er stand erst eine Stunde später auf. Gutmütig war er und auch faul, sehr faul. Er liebte das frühe Aufstehn nicht,
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