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Das Falsche Gewicht

Das Falsche Gewicht

Titel: Das Falsche Gewicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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Eichmeister hinausgingen.
    Viele Bauern und Juden warteten in dem kleinen Laden. Sie wollten Terpentin, Wachs, Apollokerzen, Schmiergelpapier, Tabak, Heringe, Sprotten und blaue Tünche. Der Eichmeister Eibenschütz, der so oft hierhergekommen war, dienst- und pflichtgemäß, als Vollstrecker unerbittlicher Gesetze, um Waagen und Maße und Gewichte zu prüfen, befand sich unversehens hinter dem Ladentisch neben Euphemia. Und als wäre er ihr Lehrling, befahl sie ihm, dies und jenes zu holen, dies und jenes zu wägen, dies und jenes zu füllen, diesen und jenen zu bedienen.
    Der Eichmeister gehorchte. Was sollte er tun? Er wußte nicht einmal, daß er gehorchte.
    Die Kunden gingen. Euphemia und der Eichmeister verließen den Laden. Sie hatten kaum drei Schritte bis zum Wirtshaus zurückzulegen. Aber es schien dem Eibenschütz, als brauchten sie eine sehr, sehr lange Zeit dazu. Die gute, kühle Sommernacht war schon hereingebrochen.

XXIII
    Er blieb in dieser Nacht sehr lange in der Grenzschenke, bis zum frühen Morgengrauen, bis zur Stunde, in der der Gemeindepolizist Arbisch kam, um die Deserteure abzuholen. Zum erstenmal seit vielen Wochen war der Himmel an diesem Morgen bewölkt. Die Sonne ging, als Eibenschütz aus dem Tor der Schenke hinausfuhr, rot und klein, einer Orange ähnlich, am Himmel auf. In der Luft roch es schon süß und heiter und naß nach dem längsterwarteten Regen. Ein lindes Windchen wehte Eibenschütz entgegen. Obwohl er die ganze Nacht getrunken hatte, war er frisch und gleichsam gewichtslos. Sehr jung fühlte er sich, und es war ihm, als ob er bis zu dieser Stunde noch gar nichts erlebt hätte, überhaupt gar nichts. Sein Leben sollte erst beginnen. Er war schon etwa eine Stunde gefahren und mitten auf dem Wege nach Hause, als der Regen, sachte zuerst, allmählich immer stärker, zu fallen begann. Ringsum atmete alles nasse, linde Güte. Alles unterwegs schien sich dem Regen willig zu ergeben. Die Linden am Wege neigten ihre Häupter. Die Weidensträucher zu beiden Seiten der gangbaren Pfade im Sumpf von Zubrowka gar schienen sich emporgerichtet zu haben und wollüstig im warmen Gerinn zu erschauern. Fast auf einmal setzte auch der Gesang der Vögel ein, den der Eichmeister so lange schon vermißt hatte. Am lautesten flöteten die Amseln. Seltsam – sagte sich der Eichmeister – und ungewöhnlich war es auch, daß die Vögel mitten durch den Regen pfiffen, zwitscherten und trillerten, wahrscheinlich begrüßten sie ihn – dachte er weiter – ebenso wie ich. Aber wie kommt es überhaupt, daß ich einen Regen begrüße? Was geht mich der Regen an? Ich muß mich stark verändert haben in dieser Gegend! Was geht mich der Regen an? Was kümmern mich die Vögel? Plötzlich, er wußte selbst nicht, warum, zog er die Zügel an, und der Schimmel hielt still. Da sitzt er nun auf dem Bock, der Eichmeister Eibenschütz, der Regen strömt auf ihn herab, der weiche Strohhut schlappt auf seinem Kopf wie ein nasser Lappen. Er hält still im Regen, statt weiterzufahren, wie es sich gehört.
    Er kehrt plötzlich um. Er knallt mit der Peitsche. Der Schimmel setzt sich in Galopp. Kaum eine halbe Stunde später ist er wieder in Szwaby. Es regnet immer noch in Strömen.
    Eibenschütz läßt sich ein Zimmer im Gasthof geben. Er erzählt Onufrij, daß unterwegs der Boden zu aufgeweicht sei und daß kein Mensch weiterfahren könne. So möchte er lieber hier den Regen überschlafen. Man gibt ihm ein Zimmer. Er schläft leicht und traumlos und erwacht erst am Abend.
    Längst hat der Regen aufgehört. Das Laub an den Bäumen vor den Fenstern ist trocken. Die Steine im Hof der Schenke sind trocken, die Sonne ist just im Begriff, im vollen Glanz unterzugehen. Der Himmel ist wolkenlos.
    Der Eichmeister geht in die Wirtsstube.

XXIV
    Er wartet auf Euphemia, sie kommt nicht. Er sitzt da, den Kopf in die Hände gestützt. Er weiß auch gar nicht recht, was er hier soll. Durch den Lärm, den die anderen Gäste verursachen, hört er das unerbittliche, harte Tikken der Wanduhr. Allmählich beginnt er zu glauben, daß er nicht freiwillig hierhergekommen ist, sondern daß ihn irgend jemand hierhergebracht hat. Er erinnert sich nur nicht, wer es gewesen ist, er weiß auch nicht, wer es gewesen sein kann.
    Die Tür geht auf, man merkt es am Windzug, Kapturak tritt ein. Er geht geradewegs an den Tisch des Eichmeisters. »Eine Partie?« fragt er. –
    »Gut, spielen wir.«
    Man spielt eine Partie Tarock, eine zweite und eine

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