Das Falsche Gewicht
ging daran, seinen Koffer zu packen. Aber mitten in dieser Arbeit fiel ihm ein, daß er hier doch noch zu tun haben werde. Er ließ den Koffer. Aus dienstlichem Pflichtgefühl, wie er glaubte. Auf den Zehen ging er hinaus.
Unten in der Schankstube stieß Eibenschütz auf Sameschkin, den Maronibrater. Er lächelte ihm entgegen, mit all seinen blendenden Zähnen. Er trank Tee und aß Brot mit Schmalz und salzte es immerfort. Es war dem armen Eibenschütz, als streute er dieses Salz auf ihn, auf Eibenschütz, nicht auf das Brot.
Er bezwang sich und sagte: »Guten Morgen, Sameschkin!« – In diesem Augenblick erfüllte ihn ein heißer Haß gegen Sameschkin. Wie er ihn so ansah, länger, den Plappernden und Lachenden, begann er, Euphemia zu hassen.
Er hoffte, daß er Klarheit bekäme, wenn er einmal nur fort wäre.
Es war gut, daß der Schimmel so klug war, ein kluger Schimmel. Allein, ohne ihn, hätte Eibenschütz den Weg nicht nach Hause gefunden. Er fuhr zuerst ins Amt. Seit vielen Tagen stapelten sich dort Papiere auf, die ihn erwarteten.
Er fürchtete sich vor den Papieren, die ihn erwarteten.
XXVII
Eine Woche im ganzen wohnte der Eichmeister Eibenschütz zu Hause. Die Frau Regina bekam er nicht zu sehen, das Kind des Schreibers hörte er manchmal kreischen.
Eines Tages unterwegs, während er mit dem Wachtmeister Slama auf dem Wägelchen saß – sie fuhren nach Bloty –, begann er zu erzählen. Es drückte ihm das Herz ab. Er mußte sprechen – und es gab weit und breit keinen Menschen, nur den Wachtmeister Slama. Zu wem sollte man reden? Ein Mensch muß zu einem Menschen reden.
Also erzählte der Eichmeister dem Wachtmeister seine Geschichte. Er erzählte, daß er bis zur Stunde, in der er Euphemia gekannt hatte, gar nicht gewußt hatte, was das Leben bedeute. Und er erzählte auch dem Wachtmeister von dem Betrug seiner Frau mit dem Schreiber Josef Nowak.
Der Gendarmeriewachtmeister war ein sehr einfacher Mensch. Aber er verstand alles, was ihm Eibenschütz erzählte, und zum Zeichen dafür, daß er es verstehe, nahm er die Pickelhaube ab, als könnte er barhäuptig zuversichtlicher mit dem Kopf nicken.
Es war dem Eibenschütz sehr leicht ums Herz, nachdem er seine ganze Geschichte erzählt hatte. Er wurde geradezu fröhlich; und er war so traurig.
Dem Wachtmeister Slama fiel nichts ein, aber er wußte wohl, daß man etwas Fröhliches sagen müsse, und er sagte also schlicht und ehrlich: »Das würde ich nicht aushalten!«
Er wollte Eibenschütz trösten, aber er machte ihn nur trauriger. »Auch ich«, begann Slama, »bin betrogen worden. Meine Frau hat sich da – Vertrauen gegen Vertrauen – mit dem Sohn des Bezirkshauptmanns eingelassen. Sie ist an der Geburt gestorben.«
Eibenschütz, den die ganze Geschichte nicht berührte, sagte nur: »Sehr traurig!« Ihn kümmerte sein eigenes Schicksal. Was ging ihn die verstorbene Frau Slama an?
Der Wachtmeister aber, einmal im Erzählen und mit aufgerissener Herzenswunde, hörte nicht auf, von seiner Frau zu berichten. »Dabei waren wir«, sagte er, »zwölf Jahre verheiratet. Und, denken Sie, es war gar kein Mann, mit dem sie mich betrogen hat. Es war ein Jüngling, der Sohn des Bezirkshauptmanns, er war ein Kadettenschüler.« Und als hätte es eine besondere Bedeutung, fügte er nach einer Weile hinzu: »ein Kavallerie-Kadettenschüler aus Mährisch-Weißkirchen.«
Längst hörte Eibenschütz nicht mehr zu. Es tat ihm aber wohl, daß ein Mensch neben ihm redete, ähnlich, wie es manchmal einem wohltut, wenn es so daherregnet und man versteht auch die Sprache nicht, die der Regen redet.
Sie hatten in Bloty nur einen Laden zu besuchen, den Milchhändler und Gastwirt Broczyner, aber sie blieben den ganzen Tag dort. Man fand bei Broczyner im ganzen fünf falsche Pfundgewichte. Man zeigte den Broczyner an. Man ging dann in das Wirtshaus, zum gleichen Broczyner.
Der angezeigte Broczyner kam an den Tisch und versuchte, ein Gespräch mit dem Eichmeister und dem Wachtmeister anzuknüpfen. Aber sie waren beide dienstlich und strenge, das heißt, sie bildeten sich ein, daß sie dienstlich und strenge seien.
Einen ganzen Tag, bis zum späten Abend, blieben sie dort. Dann sagte Eibenschütz: »Fahren wir nach Szwaby.« Dorthin fuhren sie auch.
Sie spielten Tarock mit Kapturak. Kapturak gewann immer wieder. Der Eichmeister Eibenschütz hätte auch gewinnen können, wenn er nur achtgegeben hätte. Er aber dachte an Euphemia und Konstantin
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