Das Falsche in mir
Facebook-Suchfunktion; es gibt viel zu viele davon, die meisten scheinen Türken zu sein, ich konstatiere eine weitere Spur, die ins Nichts führt, und schließe den Laptop.
Ein paar Minuten später kommt Vassilis nach oben und bringt mir einen Teller mit Gyros, Fladenbrot und Salat. Ich bedanke mich, er lächelt flüchtig und verschwindet wieder. Es ist, als hätte es unseren Streit nie gegeben.
Ich esse, trinke und warte darauf, dass er schließt.
Um Punkt zwölf höre ich seine müden Schritte. Ich bin überrascht, wie froh ich bin, ihn zu sehen: einen Menschen, der mich kennt, soweit man mich eben kennen kann.
Er ist weniger begeistert, vielleicht auch nur erschöpft. Der Geruch nach Bratfett, Knoblauch, Spülmittel und Seife begleitet ihn, und er lässt sich schwer auf den Stuhl fallen. Zum ersten Mal fallen mir seine Hände auf. Sie sind kräftigund grob, mit kurzen Fingern und auffallend breiten Handgelenken.
Ich denke an seinen getöteten Cousin und bin wieder auf der Hut.
»Willst du ein Glas Wein?«, frage ich, als wäre es mein Wein, nicht seiner. Er antwortet nicht, sieht mich nicht an.
»Was ist?«, frage ich.
»Ich bin müde«, sagt er und sieht mich immer noch nicht an.
Ich spüre, dass ich verschwinden muss. Meine Anwesenheit ist eine Zumutung. Ich stehe auf, packe langsam und umständlich meinen Laptop ein, als wollte ich Vassilis genug Zeit zum Protestieren geben. Aber er sagt nichts, also gehe ich ins Bad, um meine Zahnbürste und mein Haarwaschmittel zu holen.
Ich sehe in den Spiegel: Meine Augenpartie sieht hohl aus wie bei einem Schwerkranken, rund um die Nase ist die Haut rot und entzündet, und ich sollte mich rasieren, bevor ich mich auf den Weg mache.
Während ich darüber nachdenke, wo ich die nächste Nacht verbringen könnte, ohne zu erfrieren, taucht Vassilis hinter mir auf. Er nimmt mir die Zahnbürste aus der Hand und legt sie sorgfältig auf die Ablage voller bräunlicher Kalkflecken.
»Du bleibst hier«, sagt er. Seine Stimme hört sich heiser und erkältet an, er hat sich bei mir angesteckt.
»Hör zu«, beginne ich und will sagen, du musst das nicht machen, aber eigentlich meine ich das gar nicht, und er schneidet mir das Wort ab.
»Du bleibst hier. In Ordnung?«
»Du musst das nicht machen«, sage ich schließlich doch.
Weil es wahr ist und weil ich der miserabelste Gast bin, den Vassilis je hatte, abgesehen vielleicht von seinem Cousin, aber der hat seine Strafe ja schon bekommen. Weil ich nicht einmal genug Geld habe, um mich wenigstens an den Mahlzeiten zu beteiligen. Weil ich vielleicht immer noch ein Mörder bin und weil ich Vassilis angegriffen habe und weil ich nichts zu gebenhabe. Weil ich nicht weiß, wie Freundschaft funktioniert und was man für sie tut. Weil ich nie einen Freund hatte außer Marion – und sie war kein Freund, sie war etwas, das ich bis heute nicht verstehe.
»Ich weiß, dass ich das nicht muss«, sagt Vassilis.
Er klingt streng, aber auch warm. Er legt mir eine Hand auf die Schulter, und auch seine Hand ist warm. Wir sehen uns beide im Spiegel an. Ich möchte weinen, aber Weinen gehört nicht zu meinen Fähigkeiten. Ich lege vorsichtig meine Hand auf seine. Es fühlt sich gut an.
Wir sitzen am Tisch und ich erzähle ihm von meinen neuen, wieder einmal im Sande verlaufenen Privatermittlungen. Als ich bei der Bloggerin angelangt bin, horcht er auf.
»Zeig mir den Eintrag«, verlangt er.
»Welchen denn?«, frage ich. »Es gibt Hunderte.«
»Den mit Nuri. So hieß sie doch, oder? Nuri Bey.«
»Nein, nur Nuri, nicht Nuri Bey. Und unterschrieben wurde mit Michalis.«
Vassilis zieht seinen Stuhl polternd an meine Seite, ich öffne meinen Laptop und zeige ihm einen der Briefe, und er macht ein triumphierendes Gesicht. Er zieht den Laptop zu sich heran und gibt den Namen Nuri Michalis ein, ausgerechnet die eine Möglichkeit, an die ich nicht gedacht habe.
»Wer ist das?«, frage ich, als dieser eine Name tatsächlich auftaucht, nur ein einziges Mal.
»Nuri Bey war der Blutsbruder von Kapitän Michalis«, sagt Vassilis. Er lächelt zum ersten Mal an diesem Abend. Er stößt mir mit der Faust in die Seite wie ein Halbwüchsiger und grinst jetzt richtig breit.
»Genial«, sagt er.
»Was?«, frage ich.
Vassilis steht schwerfällig auf, klopft mir auf den Rücken und geht ins Wohnzimmer. Ich höre ihn herumkruschteln undleise fluchen, als etwas mit einem dumpfen Geräusch nach unten fällt. Nach ein paar Minuten kommt er zurück und
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