Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
sein», bemerkte Poirot. «Das bezeichnet alles und erklärt gar nichts. Ich werde diesen klugen Dr. Bauerstein mal im Auge behalten.»
    «Haben Sie noch mehr Widersprüche bei den Aussagen gefunden?», fragte ich ironisch.
    «Mon ami», erwiderte Poirot ernst, «wenn Sie merken, dass die Leute nicht die Wahrheit sagen, dann passen Sie auf! Falls ich mich nicht sehr irre, hat heute bei der Untersuchung nur einer – oder höchstens zwei Personen – die Wahrheit gesagt, rückhaltlos und ohne Täuschungsabsicht.»
    «Ach, jetzt übertreiben Sie aber, Poirot! Bei Lawrence oder Mrs. Cavendish mögen Sie ja Recht haben. Aber was ist mit John und Miss Howard – die beiden haben doch bestimmt die Wahrheit gesagt?»
    «Alle beide, mein Freund? Einer vielleicht, aber beide?»
    Seine Worte versetzten mir einen Schock. Miss Howards Aussage war ja möglicherweise unwichtig gewesen, aber bei so viel Klarheit und Eindeutigkeit hätte ich niemals ihre Ehrlichkeit angezweifelt. Doch ich empfand große Hochachtung für Poirots Klugheit – außer wenn er das zeigte, was ich bei mir seine «schreckliche Dickköpfigkeit» nannte.
    «Glauben Sie wirklich?», fragte ich. «Miss Howard machte auf mich immer einen so absolut ehrlichen Eindruck, dass es manchmal fast ein wenig übertrieben erschien.»
    Poirot warf mir einen rätselhaften Blick zu, aus dem ich nicht schlau wurde. Er schien etwas sagen zu wollen, aber dann ließ er es bleiben.
    «Auch Miss Murdoch hat so gar nichts Unehrliches an sich», fuhr ich fort.
    «Nein. Aber es war seltsam, dass sie nicht das kleinste Geräusch hörte, obwohl sie nebenan schlief, wohingegen Mrs. Cavendish viel weiter weg ganz deutlich den Tisch umfallen hörte.»
    «Na ja, sie ist eben noch jung und schläft fest.»
    «Also wirklich, dann muss diese junge Frau schlafen können wie ein Murmeltier!»
    Der Ton seiner Stimme gefiel mir nicht besonders, aber in diesem Augenblick klopfte jemand energisch an die Tür, und als wir aus dem Fenster schauten, sahen wir die zwei Detektive, die unten auf uns warteten.
    Poirot nahm seinen Hut, zwirbelte noch einmal heftig seinen Schnurrbart, wischte ein unsichtbares Staubkorn von seinem Ärmel und bedeutete mir, vor ihm die Treppe hinunterzugehen. Zusammen mit den Detektiven marschierten wir dann nach Styles.
    Ich glaube, das Erscheinen der zwei Männer von Scotland Yard war ein ziemlicher Schock – vor allem für John, obwohl er sich natürlich nach dem Urteil der Geschworenen hätte denken können, dass das nur noch eine Frage der Zeit war. Doch die Anwesenheit der Kriminalbeamten konfrontierte ihn mit der Wahrheit mehr als irgendetwas anderes.
    Poirot hatte sich auf dem Weg hierher leise mit Japp ausgetauscht, und der Letztere verlangte nun, dass sich alle Hausbewohner mit Ausnahme der Dienstboten im Salon versammeln sollten. Mir war klar, was dahinter steckte. Poirot sollte jetzt beweisen, ob er sein kühnes Versprechen halten konnte.
    Ich für meine Person war nicht sehr zuversichtlich. Poirot mochte ja die allerbesten Gründe für seinen Glauben an Inglethorps Unschuld haben, aber ein Mann wie Summerhaye würde handfeste Beweise verlangen, und ich zweifelte, ob Poirot die vorlegen konnte.
    Bald waren wir alle im Salon versammelt, und Japp schloss die Tür. Poirot stellte höflich für alle Stühle bereit. Alle Augen waren auf die Männer von Scotland Yard gerichtet. Ich glaube, uns allen wurde zum ersten Mal klar, dass das hier kein Albtraum, sondern knallharte Wirklichkeit war. Wir hatten von solchen Dingen zwar schon gelesen, aber jetzt waren wir selbst die Schauspieler in dem Drama. Morgen würden in ganz England die Schlagzeilen der Tageszeitungen die Nachricht verkünden:
     
    G eheimnisvolle Tragödie in Essex
    Reiche Dame vergiftet
     
    Es würden Fotos von Styles zu sehen sein, Schnappschüsse von den «Familienmitgliedern nach der Untersuchung» – der Dorffotograf war nicht untätig gewesen! Über solche Dinge hatte man schon hundertmal gelesen, aber immer widerfuhr so etwas nur anderen Leuten, nie einem selbst. Und jetzt war in diesem Haus ein Mord geschehen. Vor uns standen die «mit dem Fall betrauten Kriminalbeamten». Solche wohl bekannten glatten Formulierungen schossen mir durch den Kopf, bevor Poirot das Wort ergriff.
    Ich glaube, alle waren etwas überrascht, dass er und nicht einer der offiziell mit dem Fall befassten Kriminalinspektoren die Initiative ergriff.
    «Mesdames et messieurs», Poirot verbeugte sich, als ob er ein berühmter

Weitere Kostenlose Bücher