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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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ließ ich die Luft ab, die sich
fünfundzwanzig Minuten lang in mir gestaut hatte.
    Ich hörte, wie er den Schlüssel in der
Haustür herumdrehte, und als er eintrat, sagte ich mahnend: »Laß das Licht hier
drinnen aus. Geh an den Schrank und schenk dir ‘n doppelten Whiskey ein, du
siehst ja aus, als wärst du ‘n Weißer .«
    Thorwald kam nach genau neunundzwanzig
Minuten zurück. Ein verdammt knapper Spielraum, wenn das Leben eines Menschen
davon abhängt. Na, dann also zum Finale dieses langwierigen Geschäfts, und da
konnte man nur das Beste hoffen. Mein zweiter Anruf erreichte ihn, noch ehe er
hatte feststellen können, daß irgend etwas nicht stimmte. Genau im richtigen
Moment durchzukommen, war nicht ganz einfach. Aber ich hatte schon die ganze
Zeit mit dem Hörer in der Hand dagesessen und die Nummer immer wieder gewählt,
um jedesmal wieder auf die Gabel zu drücken. Er kam bei der 2 von 5-2114
herein, und so sparte ich Zeit. Sein Telefon begann bereits zu klingeln, als
seine Hand noch auf dem Lichtschalter lag.
    Jetzt würde alles klar werden.
    »Du solltest Geld mitbringen, keine
Knarre! Meinst du, da würd ich auftauchen ?« Ich sah,
was für einen Ruck ihm das gab. Doch das Fenster mußte weiterhin aus dem Spiel
bleiben. »Ich hab gesehen, wie du dir an die Tasche gefaßt hast, in der sie
steckte, als du aus dem Haus gekommen bist .« Gut
möglich, daß das gar nicht stimmte, aber er würde sich jetzt sicher nicht mehr
daran erinnern, ob er es gemacht hatte oder nicht. Normalerweise tun das Leute,
die nicht ständig einen Revolver mit sich herumschleppen, wenn sie mal einen
einstecken.
    »Was ‘n Pech, daß du den ganzen Ausflug
umsonst gemacht hast. Ich hab jedenfalls die Zeit genutzt, als du weg warst,
ich weiß jetzt mehr als vorher .« Das war der wichtige
Teil. Ich hatte das Fernglas an den Augen und durchleuchtete ihn praktisch mit
meinem Blick. »Ich hab herausgekriegt, wo... Du weißt, was ich meine. Ich weiß
jetzt, wo sie steckt. Ich war da, während du weg warst .«
    Kein Wort. Nur rasches Atmen.
    »Glaubst du mir nicht? Schau dich um.
Leg den Hörer beiseite und sieh selber nach. Ich hab sie gefunden .«
    Er legte den Hörer neben das Telefon,
ging bis zur Wohnzimmertür und knipste das Licht an. Er ließ den Blick nur
einmal kurz durchs Wohnzimmer gleiten, einen flüchtigen, allumfassenden Blick,
der auf nichts Bestimmtes gerichtet war, an keiner bestimmten Stelle innehielt.
    Er lächelte grimmig, als er zurück ans
Telefon kam. Alles, was er, sanft und voll hämischer Genugtuung, sagte, war:
»Sie lügen .«
    Dann sah ich, wie er den Hörer ablegte
und ihn losließ. Ich legte auf.
    Der Versuch war gescheitert. Und auch
wieder nicht. Er hatte mir nicht, wie ich gehofft hatte, den Ort verraten. Und
doch war dieses »Sie lügen« das stillschweigende Eingeständnis, daß sie
irgendwo dort drüben in seiner Nähe war, daß man sie dort, in diesem Gebäude,
finden konnte. So gut versteckt, daß er sich deswegen keine Sorgen zu machen
brauchte, daß er nicht einmal nachsehen mußte, ob noch alles in Ordnung war.
    So enthielt meine Niederlage doch
zugleich einen Sieg, wenn auch einen unfruchtbaren. Er würde mich keinen
Millimeter weiterbringen.
    Er stand da, mit dem Rücken zu mir, so
daß ich nicht sehen konnte, was er tat. Ich wußte, daß das Telefon irgendwo vor
ihm stand. Aber ich dachte, er würde einfach dastehen und nachdenken. Er hielt
den Kopf etwas gesenkt, mehr war nicht zu sehen. Ich hatte aufgelegt. Sein
Ellbogen schien sich nicht zu bewegen. Und falls sich sein Zeigefinger bewegte,
konnte ich es jedenfalls nicht sehen.
    Eine kurze Weile stand er so da, dann
trat er schließlich zur Seite. Das Licht in der Wohnung ging aus; ich sah
nichts mehr. Er war so vorsichtig, daß er nicht einmal ein Streichholz
anzündete, wie er es sonst manchmal im Dunkeln tat.
    Nun, als meine Gedanken nicht mehr
durch seinen Anblick nach außen gelenkt wurden, bemühte ich mich, mir etwas
anderes wieder ins Gedächtnis zurückzurufen — den merkwürdigen kleinen
Synchronisierungsfehler, der mir am Nachmittag aufgefallen war, als die beiden
Herren zwei Stockwerke über ihm und er sich gleichzeitig von einem Fenster zum
nächsten bewegt hatten. Die konkreteste Vorstellung, zu der ich gelangte, war
die folgende: Es erinnerte mich an den Blick auf eine Person durch eine
fehlerhafte Glasscheibe, wo die Symmetrie einen Augenblick lang gestört ist,
bis der Beobachtete an der defekten Stelle vorbei ist.

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