Das Fenster zum Hof
geräuschlos
umhergleitenden, sich dahinschlängelnden Kobra im Dunkeln eingesperrt.
Ich hatte keine Waffe hier in der
Wohnung. Nur Bücher, dort im Dunkeln an der Wand, in Reichweite. Ich, der nie
las! Die Bücher meines Vormieters. Und ganz oben eine Büste von Rousseau oder
Montesquieu, ich hatte nie feststellen können, welchen dieser Herren mit den
wallenden Mähnen sie darstellen sollte. Ein monströses Gebilde aus gebranntem
Ton, aber auch sie hatte ich bereits vorgefunden, als ich hier einzog.
Ich drückte mich aus dem Rollstuhl hoch
und reckte verzweifelt den Arm nach ihr. Zweimal glitten meine Fingerspitzen an
ihr ab, beim dritten Versuch gelang es mir, sie ein bißchen zu verrutschen, und
der vierte ließ sie in meinen Schoß herunterplumpsen und drückte mich in den
Stuhl zurück. Ich saß auf einer Reisedecke. Bei diesem Wetter brauchte ich sie
nicht, um mich darin einzuwickeln, ich hatte sie nur untergelegt, weil der Sitz
des Rollstuhls etwas hart war. Ich zog sie unter mir hervor und hüllte mich auf
Indianerart darin ein. Dann rutschte ich ganz tief hinab und ließ den Kopf und
die Schulter über die Armstütze zur Wandseite hinausbaumeln. Auf die andere,
nach oben gerichtete Schulter hievte ich die Büste, versuchte sie da, so gut es
ging, im Gleichgewicht zu halten, mein zweiter Kopf, bis zu den Ohren in die
Decke eingewickelt. Von hinten, im Dunkeln, würde es aussehen wie — hoffte ich
jedenfalls.
Ich begann, durch den Mund zu atmen,
wie jemand, der im Sitzen fest schläft. Das fiel mir nicht schwer. Ich
schnaufte vor lauter Spannung, ohnehin reichlich gequält.
Er war geschickt im Umgang mit
Türgriffen und solchen Sachen. Ich hörte nicht, wie die Tür sich öffnete,
obwohl sie, anders als die Haustür, direkt hinter mir war. Ein schwacher
Luftzug traf mich im Nacken. Ich spürte es, weil meine Kopfhaut mittlerweile
ganz feucht war.
Wenn es ein Messerstich oder ein Schlag
auf den Kopf werden sollte, würde mir der Trick mit der Büste vielleicht eine
zweite Chance geben, auf mehr konnte ich nicht hoffen, das war mir klar. Meine
Arme und Schultern sind recht kräftig. Ich würde ihn nach dem ersten Stich oder
Schlag umklammern und zu mir herabziehen, ihm den Hals oder das Schlüsselbein
brechen. Wenn er ein Schießeisen dabei hatte, würde er mich letzten Endes auf
jeden Fall kriegen. Ein Unterschied von ein paar Sekunden. Ich wußte, daß er
einen Revolver hatte, er hatte ihn ja schon gegen mich verwenden wollen,
draußen im Lakeside Park. Ich hoffte, daß er ihn hier, in einem geschlossenen
Raum, um eine Flucht nicht von vornherein unmöglich zu machen...
Meine Zeit war um.
Das Mündungsfeuer erhellte das dunkle
Zimmer eine Sekunde lang oder ließ zumindest die Umrisse erkennen, wie
flackerndes Wetterleuchten. Die Büste prellte meine Schulter und zerbarst in
Stücke.
Mir schien, als hüpfe er vor Wut und
Enttäuschung einen Augenblick lang wie ein Wilder auf der Stelle. Dann, als ich
ihn an mir vorbeihuschen und sich auf der Suche nach einem Fluchtweg zum
Fenster hinausbeugen sah, verlagerten sich die Geräusche nach draußen und
unten, an die Haustür, gegen die jemand trommelte und sie mit seinem ganzen
Körpergewicht aufzusprengen versuchte. Doch noch das spannende Finale mit
Zielfotoentscheidung. Aber er hätte mich noch fünfmal töten können.
Ich warf meinen Körper in den engen
Spalt zwischen Rollstuhllehne und Wand, aber meine Beine waren noch oben, und
ebenso mein Kopf und die eine Schulter.
Er wirbelte herum und feuerte aus so
kurzer Entfernung auf mich, daß ich das Gefühl hatte, direkt in die aufgehende
Sonne zu schauen. Ich spürte nichts, also hatte er — mich nicht getroffen.
»Du...«, hörte ich ihn knurren. Ich
glaube, das war das Letzte, was er sagte. Den Rest seines Lebens handelte er
nur noch, gab keine verbalen Äußerungen mehr von sich.
Er schwang sich auf einem Arm über das
Fensterbrett und ließ sich hinab in den Hof fallen. Zwei Stockwerke tief. Das
ging nur deshalb gut, weil er nicht auf der zementierten Fläche aufkam, sondern
auf dem Rasenstreifen in der Mitte. Ich stemmte mich hoch, über die
Rollstuhllehne hinweg, und warf mich wuchtig hinüber zum Fensterbrett, wo ich
elegant mit dem Kinn voraus eintraf.
Er rannte. Und wie! Wenn das Leben
davon abhängt, ist man schnell. Er überwand den ersten Zaun, indem er sich mit
dem Bauch darüber abrollte. Den zweiten nahm er wie eine Katze, mit einem Satz,
Hände und Füße nach unten von sich
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