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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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Klimpern drunten an der Haustür. Es war
eines dieser altmodischen Häuser mit Vorbau, bei denen die äußere Windfangtür
die ganze Nacht frei hin- und herschwingt. Die zweite Tür, die eigentliche
Haustür, war mit einem einfachen eisernen Schlüssel zu öffnen. Der Alkohol
hatte seine Hand etwas zittrig werden lassen, aber er hatte derartige
Schwierigkeiten auch früher schon ein paarmal gehabt, ohne etwas getrunken zu
haben. Beim Licht eines Streichholzes hätte er das Schlüsselloch sicher
schneller gefunden, nur, Sam raucht nicht. Ich wußte, daß er wahrscheinlich
keine bei sich hatte.
    Das Klimpern hatte aufgehört. Er mußte
aufgegeben haben, wieder gegangen sein, beschlossen haben, auf das, was er
vergessen hatte, ganz gleich, was es war, bis morgen früh zu verzichten. Er war
nicht hereingekommen, ich kannte die geräuschvolle Art, in der er Türen hinter
sich zufallen ließ, nur zu gut, und es hatte kein derartiges Geräusch gegeben.
    Dann plötzlich kam es mir, es war wie
eine Explosion in meinem Kopf. Warum gerade in diesem Augenblick, weiß ich
nicht. Das war eines der Mysterien meiner eigenen Gedankengänge. Es blitzte
auf, wie Schießpulver, das bereits sehnlichst auf den über die Zündschnur
näherkommenden Funken gewartet hat. Es blies mir jeden Gedanken an Sam, an die
Haustür und an alles andere restlos aus dem Kopf. Seit dem Nachmittag hatte es
in mir gelauert, und erst jetzt wieder so eine Spätzündung. Diese verfluchten
Spätzündungen. Der Makler und Thorwald hatten am Anfang, am Wohnzimmerfenster,
gleichhoch gestanden. Dann kam die Wand, der blinde Fleck, und danach waren
beide am Küchenfenster, immer noch genau übereinander, wieder aufgetaucht. Aber
dazwischen hatte etwas stattgefunden, was mich störte, eine Art Verzerrung oder
Verschiebung, ein Sprung. Das Auge ist ein zuverlässiger Beobachter. Mit dem
zeitlichen Ablauf war alles in Ordnung, es ging um die Parallelität oder wie
immer man es nennen will. Es war eine vertikale Verschiebung gewesen, keine
horizontale. Ein »Sprung« nach oben.
    Jetzt hatte ich es, jetzt war mir alles
klar. Und ich mußte es loswerden. Es war zu gut. Sie wollten eine Leiche? Jetzt
hatte ich eine für sie.
    Sauer auf mich oder nicht, jetzt würde
Boyne mich anhören müssen. Ich verlor keine Zeit, wählte auf der Stelle,
im Dunklen, seine Dienstnummer, zählte mit dem Finger die Löcher auf der
Wählscheibe ab. Sie drehte sich ganz leise, nur ein schwaches Klicken war zu
hören. Nicht einmal so deutlich wie die Grille da draußen...
    »Der ist schon längst nach Hause gegangen«,
meinte der diensthabende Sergeant.
    Es galt, keine Zeit zu verlieren. »Gut,
dann geben Sie mir seine Privatnummer .«
    Es dauerte eine Weile, bis er wieder da
war. »Trafalgar«, sagte er. Dann nichts mehr.
    »Und? Trafalgar hab ich, und die Nummer ?« Kein Laut.
    »Hallo? Hallo?« Ich drückte auf die
Gabel. »Vermittlung. Meine Verbindung wurde getrennt. Geben Sie mir den
gleichen Anschluß nochmal !« Ich bekam nicht einmal die
Vermittlung.
    Nicht meine Verbindung war getrennt,
nein, meine Leitung war durchtrennt worden. Es war zu abrupt passiert, mitten
im... Jemand direkt hier im Haus mußte es gemacht haben. Draußen verlief die
Leitung unterirdisch.
    Spätzündung. Ein letztes, endgültig
letztes Mal, und sowieso zu spät. Ein stummer Anruf. Ein zielgerichteter Blick
von drüben. Dann vor einer Weile »Sams« scheinbare Rückkehr.
    Mit einem Schlag war der Tod hier im
Haus, ganz in meiner Nähe. Und ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht mal
aus diesem Stuhl aufstehen. Selbst wenn ich jetzt zu Boyne durchgekommen wäre,
es wäre zu spät gewesen. Es blieb nicht einmal mehr genug Zeit für ein
spannendes Finale, mit Zielfotoentscheidung. Ich hätte wohl zum Fenster hinaus
um Hilfe rufen können, hinaus in diese Galerie schlafender Hinterhofnachbarn.
Sie wären natürlich an die Fenster geeilt, doch auch bei größter Eile hätten
sie es nicht rechtzeitig hier herüber zu mir geschafft. Bis sie sich auch nur
klar geworden wären, aus welchem Haus der Schrei kam, wäre der wieder
verstummt, zum Verstummen gebracht. Ich machte den Mund nicht auf. Nicht weil
ich so mutig, sondern weil es so offenkundig sinnlos war.
    Gleich würde er oben sein. Er mußte
bereits die Treppe hochkommen, auch wenn ich ihn noch nicht hörte. Nicht einmal
ein Knarren. Das wäre eine Erleichterung für mich gewesen, hätte ihn
lokalisierbar gemacht. So fühlte ich mich wie zusammen mit einer

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