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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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dessen, was jetzt gleich passieren würde,
abwehren oder zumindest abschwächen könnte! Irgendetwas tief in ihm — er hatte
weder die Zeit noch die Fähigkeit, festzustellen, was genau es war — schien
sich vor dem drohenden Verhängnis in lange, schummrige Korridore
zurückzuziehen. Ihm war nicht bewußt gewesen, daß er solche nützlichen
Fluchtwege voller schützender Winkel und Kurven in sich besaß, und daß er mit
ihrer Hilfe eine immer größere Entfernung zwischen sich und das drohende Unheil
bringen konnte. O du schlauer Architekt der Psyche, o gütiger Plan, der solche
Notausgänge vorsah. Und zu ihnen stürzte dieses Etwas, das er war und doch
bereits nicht mehr er; auf sie, diese Zuflucht, diese Sicherheit zu, hin zu
Licht, Sonne und Lachen.
    Der Minutenzeiger stand senkrecht,
kerzengerade, in einem perfekten rechten Winkel zu seinem Kollegen, während die
flüchtigen Sekunden, alles, was von seiner Existenz noch übrig war,
weitertickten und schließlich vertickt waren. Jetzt stand der Zeiger bereits
nicht mehr ganz senkrecht, aber Stapp nahm das nicht mehr wahr, er befand sich
schon in einem todesähnlichen Zustand. Jetzt erschien zwischen dem Zeiger und
dem Zwölfer-Strich wieder etwas Weiß, er war vorbei. Es war eine Minute
nach drei. Er erbebte am ganzen Körper — nicht vor Angst, sondern vor Lachen.
    Es platzte lautstark heraus, als sie
ihm den nassen, blutgetränkten Knebel aus dem Mund zogen, so als würden sie
damit zugleich das Lachen herausziehen, es aus ihm heraussaugen.
    »Nein, binden Sie ihn bloß noch nicht
los !« sagte der Mann im weißen Kittel scharf zu dem
Polizisten. »Warten Sie, bis die mit der Zwangsjacke da sind, sonst läuft er
hier Amok .«
    Fran stand da, tränenüberströmt, und
hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. »Können Sie nichts tun, damit er
aufhört, so zu lachen? Ich halte das nicht aus. Warum lacht er nur so ?«
    »Er ist nicht mehr bei Sinnen«,
erklärte ihr der Arzt geduldig.
    Der Wecker stand auf fünf nach sieben.
»Was ist da in der Kiste ?« fragte der Polizist und
stieß spielerisch mit dem Fuß dagegen. Sie verrutschte ein wenig, an der Wand
entlang, und zog den Wecker mit sich.
    »Nichts«, antwortete Stapps Frau unter
Schluchzen, während er unentwegt weiterlachte. »Das ist nur eine leere Kiste.
Da war irgendein Blumendünger drin, aber ich hab ihn rausgenommen und auf das
Blumenbeet gekippt, das ich — das ich hinter dem Haus angelegt hab .«

Mordspech
     
     
    Es war später Nachmittag in Chicago,
als Brains Donleavy sich aufmachte, seinen Freund Fade Williams zu besuchen. Zu diesem Anlaß trug er einen dunkelblauen, stark taillierten
Überzieher, eine Melone, die direkt über seinen Augenbrauen saß, und einen
Achtunddreißiger, der seine Achselhöhle liebkoste. Es war ziemlich windig, und
er hätte sich ohne diese drei Accessoires den Tod holen können, besonders ohne
letzteres.
    Fade und er kannten sich seit Jahren.
Sie wußten so viel voneinander, daß sie gar nicht anders konnten, als gute
Freunde zu sein; der Achtunddreißiger war daher nur reine Gewohnheit und keine
Vorsichtsmaßnahme. Fade war, genau genommen, gar nicht der richtige Name dieses
Herrn. Es war ein Spitzname, entlehnt von einem Glücksspiel, von dem profanen
Zeitvertreib des Würfelns um Geld, wo der Ausdruck »fade« bedeutet, daß der
Spieler mit dem Einsatz des anderen mithalten — in anderen Worten: die
Herausforderung annehmen will.
    Nicht, daß Fade jemals versucht hätte,
auf diese Weise zu Geld zu kommen; da gab es bessere und lohnendere Wege. Er
war ein semiprofessioneller Alibilieferant, ein Auswegproduzent, jemand, der
einem für Geld den Rücken deckte. Wenn er auch die Kunst, mit Zeiten, Orten und
Situationen zu jonglieren, nur gegen eine entsprechende Gebühr ausübte, konnte
man ihm gleichwohl den Amateurstatus nicht aberkennen; sein Name stand nicht im
Branchenverzeichnis, und er hatte auch kein Schild an der Tür, dem man seine
Sprechstunden entnehmen konnte. Er mußte einen schon persönlich kennen. Man
konnte nicht einfach so bei ihm hereinschneien, eine Anzahlung auf den Tisch
knallen und mit einem fein säuberlich in Packpapier eingewickelten Alibi wieder
hinausgehen. Wenn er allzu häufig in den Zeugenstand trat, um »irrtümlich«
eines Verbrechens beschuldigte Personen reinzuwaschen, würde das Hohe Gericht
wohl bald mißtrauisch werden.
    Doch Fades Trefferquote war durchweg gut, und wenn man mit ihm handelseinig wurde, hatte
man den

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