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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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jetzt noch eingelassen zu
werden. Er drückte x-mal nacheinander kurz auf den Klingelknopf, wie auf eine
Morsetaste. Bip-bip-bip-bip-bip. Dann rief er, offensichtlich an einen Kollegen
gewandt, der in einem am Straßenrand geparkten Wagen wartete, empört aus: »Die
sind nie da, wenn man sie braucht !« Dann ein paar
schnelle Schritte, die sich vom Haus entfernten, und das Geräusch eines
davonfahrenden Lieferwagens.
    Stapp starb ein wenig. Nicht im
übertragenen Sinne, sondern ganz konkret. Arme und Beine wurden kalt bis zu den
Ellbogen und Knien, sein Herz schien langsamer zu schlagen, und es fiel ihm
schwer, richtig durchzuatmen; mehr Speichel strömte ihm übers Kinn, und sein
Kopf fiel nach vorn und blieb eine Zeitlang reglos auf der Brust liegen.
    Ticktack, ticktack, ticktack. Dieses
Geräusch brachte ihn nach einer Weile wieder zu sich, als habe der Wecker
wohltuende Wirkung, wie Riechsalz oder Ammoniak, und sei nicht das
unheilbringende Gerät, das er war.
    Ihm fiel auf, daß seine Gedanken
umherzuirren begannen. Noch nicht ständig, aber ab und zu hatte er seltsame
Phantasien. Einmal dachte er, sein Gesicht sei das Zifferblatt des Weckers,
und das Ding, das er anstarrte, sei sein Gesicht. Der Zapfen in der Mitte, der
die beiden Zeiger hielt, wurde zu seiner Nase, und oben die 10 und die 2 wurden
seine Augen, und er hatte einen roten Blechbart und einen ebensolchen
Haarschopf, und eine kleine runde Glocke ganz oben auf seinem Schädel war sein
Hut. »Mann, seh ich komisch aus«, murmelte er schläfrig. Dann erwischte er sich
dabei, wie er mit den Muskeln in seinem Gesicht zuckte, als wolle er
verhindern, daß die beiden Zeiger, die darin befestigt waren, weiter vorrückten
und diesen Mann dort drüben töteten, der so metallischmonoton atmete:
tick-tack, tick-tack.
    Dann schob er diese unheimliche
Vorstellung beiseite, und ihm wurde klar, daß auch das nur ein
Verdrängungsmechanismus gewesen war. Da er auf den Wecker dort drüben keinen
Einfluß ausüben konnte, hatte er versucht, ihn in etwas anderes zu verwandeln.
Noch so eine verrückte Vorstellung war, daß diese Tortur die Bestrafung für das
war, was er Fran hatte antun wollen, daß er nicht von passiven, leblosen
Stricken gefesselt war, sondern von einer aktiven, strafenden Instanz, und wenn
er Buße tat, seine Reue deutlich zeigte, würde das zu seiner Befreiung führen.
Und so jammerte er aus seinem geknebelten Mund lautlos vor sich hin: »Es tut
mir leid. Ich werd’s nie wieder tun. Laß mich dieses eine Mal noch davonkommen,
das war mir eine Lehre. Ich werd’s ganz bestimmt nie wieder tun !«
    Und wieder meldete sich die Außenwelt.
Diesmal war es das Telefon. Das mußten Fran und ihr Bruder sein, sie versuchten
sicherlich herauszufinden, ob er in der Zwischenzeit nach Hause gekommen war.
Sie hatten vor der verschlossenen Ladentür gestanden, offensichtlich eine Weile
gewartet und dann, als er immer noch nicht kam, nicht gewußt, was sie von dem
Ganzen halten sollten. Jetzt riefen sie, aus irgendeiner Telefonzelle in der
Stadt, hier an, um zu hören, ob es ihm vielleicht nicht gut ging, und er
inzwischen nach Hause gegangen war. Und wenn niemand ans Telefon ging, würden
sie sich doch sicher denken, daß irgendetwas nicht stimmte. Jetzt würden sie
bestimmt zurückkommen, um herauszufinden, was mit ihm los war.
    Aber wie sollten sie auf den Gedanken
kommen, daß er zu Hause war, wenn er nicht ans Telefon ging? Wie konnten sie
ahnen, daß er schon die ganze Zeit im Keller war? Sie würden noch eine Weile
vor dem Laden warten, bis Fran sich dann irgendwann ernsthaft Sorgen machte und
sie — vielleicht — zur Polizei gingen. (Aber frühestens in ein paar Stunden,
was würde das nützen?) Überall würden sie nach ihm suchen, nur hier nicht. Wenn
jemand als vermißt gemeldet ist, würde man ihn zuallerletzt in seinem eigenen
Haus suchen.
    Schließlich verstummte das Telefon,
doch das letzte Klingeln schien noch lange in der leblosen Luft zu schwingen,
ein Summen, das sich kreisförmig ausbreitete, wie wenn ein Kieselstein in ein
stehendes Gewässer geworfen wird. Mmmmmmmmm, bis es schließlich nicht mehr da
war und die Stille ihn wieder umfing.
    Jetzt würde sie wohl schon wieder vor
der Telefonzelle stehen, von der aus sie angerufen hatte, zu ihrem Bruder, der
auf sie wartete, zurückgehen und ihm berichten: »Zuhause ist er auch nicht .« Und, noch keineswegs beunruhigt, hinzufügen: »Ist das
nicht komisch? Wo um alles in der Welt kann er bloß

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